Ich sehe solche Filme/Serien immer auch mit einer gewissen Zuschauerdistanz, also mir ist klar, dass keine Geschichte, schon gar nicht über 20 Folgen, also hier 20 Zeitstunden, funktioniert ohne funkenschlagende Konflikte, ohne Entwicklungen und Wendungen, bei denen der Zuschauer die Hände überm Kopf zusammenschlägt, mitfiebert, mitleidet oder auch wütend wird auf eine Figur. Wenn eine Serie das erreicht, ist sie gut und erfolgreich.
Johannes war die zentrale Figur, ein Patriarch und Übervater (was Christian zum Ende ja gesagt hat: "Für uns warst du Gott") und dementsprechend war seine Fallhöhe angelegt. Und die hat der Macher Adam Price weidlich ausgekostet, Johannes ist durch alle Stadien von Erfolg bis Gosse, von Hochmut bis Demut.
Hätten alle Figuren so gehandelt, wie sie idealerweise hätten handeln sollen, hätte uns das noch interessiert? Also mich jedenfalls nicht. Gerade diese falschen Entscheidungen, Egoismen, Irrwege oder schicksalshaften Begebenheiten wie Augusts fataler Schuss und was sich daraus entwickelt hat für die ganze Familie, machten die Sache doch so spannend und verliehen der Serie echt ihre emotionale Wucht.
Johannes hat mir oft leid getan. Er litt unter dem Verlust von August und seiner Schuld mindestens so schwer wie die anderen, wenn nicht mehr, war aber ein Gefangener seiner selbst. Wie er sich zusammenschlagen ließ, war doch schrecklich und zeigte seine tiefen Schmerz.
Wir gehen hier mit weltlichen psychologischen Maßstäben an die Sache, aber er war ein hochrangiger Priester, einer, der an Gott glaubte, ich habe ihm abgenommen, dass er August schützen wollte und der Überzeugung war, mit Gottes Hilfe könne er das Trauma besser bewältigen als mit einem Psychiater. Natürlich hat er damit auch sich selbst und den Ruf der Familie geschützt, dafür hat er später auch bitter bezahlen müssen.
Und Emilie, na ja. Heiratet als Atheistin eine Pfarrer, der aus einer Pfarrersdynastie stammt. Auch das ist natürlich bilderbuchmäßig angelegt im Plot, dementsprechend konnte Konflikte nicht ausbleiben. Hätte August noch gelebt, hätte sie die Sache mit der Taufe mit ihm durchfechten müssen. Die Taufe, eine rein rituelle Handlung ohne Konsequenzen für das Kind (die Taufe war ja nicht offiziell und wäre gar nie ans Licht gekommen ohne die Kameras) kann man doch nicht mit einer Beschneidung vergleichen. Aber auch da: Johannes bezahlt diesen Übergriff letztlich mit seinem Job!
Dass Elisabeth bei Johannes geblieben bzw. zu ihm zurückgekehrt ist, habe ich auch verstanden. Die beiden verband eine tiefe Liebe und in einer solchen Situation lässt man sich nicht im Stich. Für mich war das Ende auch keine wirkliche Trennung, Elisabeth ist einfach mal los auf ihren Weg mit offenem Ende.
Die Episode mit dem Verstreuen der Asche fand ich wunderschön, das haben sie gut hingekriegt. Und auch da versteht Johannes am Ende, dass die beiden das alleine durchgezogen haben, weil sie seine Einmischung fürchteten. Da hat er den Bogen schon gemacht, seine Autorität an Christian abzutreten und auch seinen Schmerz endlich mal mit ihm zu teilen bzw. sich von ihm trösten zu lassen. Auch eine sehr zu Herzen gehende Szene, als die beiden am Unfallort sind. Bei Christian hätte ich auch getippt, dass er nach Tibet geht und auch Amira verlässt, weil sie seinen spirituellen Weg nicht versteht oder teilt, aber so war das Ende für mich überraschend.
Adam Price sagte im making of, er habe mit Borgen eine Frauenwelt kreiert, eine feministische Perspektive eingenommen, und mit Wege des Herrn wollte er eine Geschichte von Vätern und Söhnen erzählen, inspiriert von der biblischen Motiven. Ist ihm echt gut gelungen. Das erklärt auch, weshalb die Frauenfiguren blasser waren als die männlichen.