Liebe Beauties, guten Tag!

Mein Name ist Missie. Und mein Leben ein Chaos.

Ich bin mit meinem Freund seit 4 Jahren zusammen. Und NEIN, es ist keine Schilderung eines Beziehungsproblems, die jetzt folgt. Wir sind sehr sehr glücklich zusammen ...ich weiß, man soll niemals NIE sagen....trotzdem sage ich, dass wir uns nicht mehr trennen werden

Mein Problem ist also keines mit/in der Beziehung, jedoch trotzdem ein familiäres.

Die Familie meines Freundes (seine Eltern und sein 7-jähriger Bruder) ist vor etwas mehr als zwei Jahren bei einem schweren Verkehrsunfall verstorben. Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden....ja, das tut sie wohl. Aber nach allem, was ich bei meinem Freund gesehen und miterlebt habe, kann ich sagen, dass die Wunden sehr sehr schwer heilen.

Alles was meinem Freund geblieben ist, sind rüstige Großeltern (die allerdings 900km entfernt wohnen) und sein Zwillingsbruder. Tunichtgut, Junkie und Widerling in einer Person.

Die beiden sind eineiige Zwillinge, charakterlich allerdings so verschieden wie Tag und Nacht. Sie haben noch zusammen Abi gemacht, aber dann haben sich ihre Wege getrennt. Der Bruder meines Freundes hat seither (sie sind heute beide 25) nichts mehr gemacht, was man jetzt irgendwie als erwähnenswert bezeichnen könnte. Man könnte eher sagen, er ist aus der Abiklasse rausgegangen und hat sein Hirn dort zurückgelassen. Er hat im Leben wohl so ziemlich alles Verkehrte durch, was man durchhaben kann.

Wir haben in den letzten zwei Jahren nicht viel Kontakt mit ihm gehabt. Das hat sich vor ein paar Wochen schlagartig geändert. Man hat ihn beim Dealen erwischt und er hat jetzt ordentlich was am Hals. Man hat seine Wohnung auseinandergenommen, dort haufenweise Drogen gefunden sowie seine Freundin, mehr tot als lebendig, sie hat einen Selbstmordversuch gemacht.

Jetzt droht ihm nicht nur ein Verfahren, sondern er hat auch noch haufenweise Schulden. Seine Freundin ist nach einem psychologischen Gutachten total unzurechnungsfähig und wird nach einem langen Krankenhausaufenthalt in eine Anstalt eingewiesen werden. So ähnlich hat man uns das zumindest erklärt.

Wir saßen da bei der Polizei und den Anwälten und mussten das alles erstmal verdauen. Bis der Anwalt dann sagte, da wäre noch etwas..... Das Etwas war sehr klein, hatte den wuscheligsten Haarschopf, den ich je gesehen habe, saß in einer kleinen Babywippe und starrte uns aus riesigen blauen Kulleraugen an.

Ein Baby.

An und für sich die normalste Sache auf der Welt. Nur für uns war in diesem Moment einfach NICHTS mehr normal.

Und mein Freund und ich starrten vollkommen geschockt zurück. Aber die Polizei und auch die Anwälte ließen uns nicht viel Zeit, um irgendwie mal zu schlucken. Sie haben uns gesagt, der Bruder meines Freundes hätte zu ihnen gesagt, wir würden uns um das Kind kümmern (wir wussten nichtmal, dass er ein Kind hat!!!) und dann las man uns unsere Rechte vor bzw. jene die das Kind betrafen. Man machte uns innerhalb von 3 Minuten klar, dass wir das Kind jetzt entweder in unsere Obhut nehmen und die Verantwortung übernehmen müssen, da wir die einzigen Verwanden wären bzw. der Bruder meines Freundes dies so wollte oder es landet vorerst beim Jugendamt bzw. dann in einem Heim oder später bei einer Pflegefamilie.

Kurze Zeit später standen wir vor der Polizeistation. Mit einem 10 Monate alten Baby. Und einer kleinen Tasche mit seinen Habseligkeiten.

An und für sich ja nichts Besonderes. Menschen kriegen immer wieder überraschend Kinder. Nur haben die meisten 9 Monate Zeit, sich darauf vorzubereiten.

Wir hatten genau 10 Minuten.

Wir waren beide total hilflos. Wir hatten eigentlich beide keine Ahnung von Babys....klar, ich war schon Babysitter bei den Kindern meiner Freundin...aber das ist doch was anderes, als wenn man für ein kleines Lebewesen plötzlich 24h am Tag verantwortlich ist.

Das Baby hatte bis auf die kleine Tasche nichts. Es gab keinen Kinderwagen, keinen Impfpass, nicht gerade viele und vor allem keine ordentlichen Klamotten (alles viel zu klein) und auch sonst nicht viel. Haben wir alles angeschafft. Wir kauften alles, was materiell fehlte.... aber das, was diesem kleinen Ding am meisten gefehlt hatte, kann man mit keinem Geld der Welt nachkaufen. Liebe. Aufmerksamkeit. Er ist körperlich vollkommen gesund, etwas klein und zart, aber das wird schon.... viel schlimmer ist, dass er emotional in seinen ersten Lebensmonaten wohl nicht sonderlich viel erlebt. Er hat nie Aufmerksamkeit erhalten, eigentlich gar keine. Er schreit nie....er würde den ganzen Tag nie schreien, egal wie sehr er Hunger hat oder wie voll seine Windeln sind. Der Kinderarzt meinte, dass komme von der mangelnden Aufmerksamkeit....dass der Kleine wohl oft und lange geschrien hätte und sich nie wer darum gekümmert hätte. Und irgendwann hat er aufgehört, "Anforderungen" zu stellen. Uns ist klar, dass er in seiner Entwicklung etwas zurückgeblieben ist....aber wir werden alles dafür tun, das irgendwie wieder "gutzumachen".

Was nun unser Problem ist? Nun ja. Die kleinen Probleme haben wir gelöst. Wir wissen jetzt, wie man das Fläschchen macht, wann unser Baby Hunger hat, was man für ein so kleines Ding für Toilettenartikel braucht und was es sonst noch so mag und braucht. Aber die großen Probleme fangen erst so richtig an....

Nach einer 4-jährigen Beziehung hat man doch gewisse Vorstellungen und Pläne für eine gemeinsame Zukunft, und unsere Pläne waren sehr konkret. Jetzt sind sie im Chaos verendet... nicht die langfristigen....das werden wir schon wieder irgendwie hinbiegen. Aber die kurzfristigen Pläne....Beispiel....wir wollten im Juli für 3 Monate nach Melbourne, weil mein Freund dort seine Diplomarbeit schreibt und ich nebenher ein Praktikum für mein Studium machen wollte. Wir hatten das alles schon fertig geplant, die Tickets und Wohnung organisiert und und und..... tja, nun ist es abgesagt. Wir können dort nicht einfach mit einem Kind aufschlagen und zudem sind wir eigentlich beide im Moment überfordert und auch ein wenig auf unser Umfeld zuhause angewiesen.

Und so ist es auch mit vielen anderen Dingen, die sich nun in unserem Leben geändert haben.

Damit komme ich sehr schwer klar. Manchmal ist mir einfach nur noch nach Weinen zumute, weil irgendwie alles anders ist und ich mich so eingeengt fühle.

Finanziell ist es kein Problem, überhaupt gar keines. Wir stehen sehr gut da....also daran liegt es nicht. Ich glaube, das Problem liegt allein an mir selbst.

Ich weiß....man muss im Leben irgendwann Verantwortung übernehmen und dazu auch einen Teil seiner Freiheit (die ich bis jetzt - zweifellos - in großem Ausmaß genossen habe) aufgeben. Ich bin mir dessen bewusst und viel mehr noch werde ich diese Verantwortung auch übernehmen.... ich war in dieses kleine Kind von der ersten Sekunde an verliebt. Es war uns beiden klar, dass wir es mitnehmen und uns darum kümmern würden....so gut es uns möglich ist. Niemand weiß, wielange es sein wird....vielleicht nur 2 Monate, vielleicht ein Jahr, vielleicht länger.... uns ist sehr wohl klar, dass wir entscheidend was dazu beitragen, wie sich der Kleine entwickelt. Er ist absolut göttlich und er ist in den wenigen Wochen nun schon der Mittelpunkt unseres Lebens geworden und alles was wir tun und tun werden, machen wir mit Freude und auch mit Liebe.

Aber manchmal vermisse ich all die Dinge, die jetzt anders sind...die Unabhängigkeit, die Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich möchte... ist das mein Egoismus? Oder ist es einfach nur "normal"? Andere haben auch Kinder. Ich weiß. Andere übernehmen schon sehr viel früher Verantwortung. Weiß ich auch. Aber die meisten davon haben auch 9 Monate Zeit , sich darauf einzustellen. Für mich kam es so plötzlich....

Ich fühle mich ganz schlecht, wenn ich sage, dass ich mich so eingeengt fühle. Weil ich ja weiß, dass der Kleine uns braucht...er ist so hilflos und so sehr auf uns angewiesen....und trotzdem heule ich manchmal, weil irgendwie alles so durcheinander ist und alles, was wir machen wollten, vorerst aufs Eis gelegt ist bzw. wir andere Pläne machen müssen, in denen der Kleine eine Rolle spielt...

...und dann kommt die andererseits die Angst, dass er uns irgendwann wieder weggenommen wird. Wir haben nur vorübergehend das Sorgerecht für ihn. Ich habe so Angst davor, dass ich mich jetzt so sehr an alles gewöhne, ihn natürlich - je länger er bei uns ist - noch viel mehr in unser Herz schließen, wir all die nächsten Monate mit ihm gemeinsam erleben, wie er seine ersten Schritte macht, er anfängt zu sprechen und und und.... und wir ihn am Ende wieder hergeben müssen.

Vielleicht habe ich auch irgendwie Angst, zu versagen.....es nicht richtig zu machen und diese Aufgabe, die mir in diesem Moment zugedacht ist, nicht gut genug zu erfüllen. Ich war null vorbereitet, ich weiß eigentlich gar nichts....was wenn ich nun alles falsch mache?

Das alles zusammen macht mich irgendwie total fertig.

...was ich nun eigentlich will? Ich hoffe, es prasseln nun keine Beschimpfungen für mein Denken auf mich ein.... ich möchte vielleicht einfach nur hören, dass meine Reaktion noch normal ist und ich nicht verantwortungslos, egoistisch und unreif bin... und dass sich das schon alles einpendelt und dass es normal ist, dass man dafür Zeit braucht.

Danke fürs Zuhören!

Liebe Grüße
Missie