Wie komme ich mit dem Tod klar?

[Turquatic]

Hallo.. heute, nach meinem kurzen Stadtbesuch, wollte ich die Treppe zur Ubahn runtergehen. Hab hysterische Leute gesehen und gehört, ein älterer Mann ist runtergefallen.. er ist mehrfach mit dem Kopf und dem Kreuz aufgeschlagen.. lag dann unten.. in einer Blutlache, die sich um den Kopf herum gebildet hat..
Er hatte keinen Puls mehr..
Tausend Leute standen da, die Rettung war gerufen, aber niemand hat etwas gemacht, da bei einer eventuellen Wirbelsäulenverletzung der Geschädigte ja auch nicht bewegt werden soll..
Ich fürchte, er hat sich das Kreuz gebrochen.
Da war so viel Blut.. aber die Ubahnaufsicht hat auch niemanden hingelassen, niemand hat die Blutung gestillt.
Ich bin so fertig, ich bekomm die Bilder nicht aus dem Kopf.
Ein so sympathischer, älterer Herr, mit Einkaufstüten, der jetzt wegen so einer SCHEISS Treppe, über die ich mich JEDES Mal ärgere, wahrscheinlich sein Leben lassen musste.
Überall in Wien sind Rolltreppen, aber grad hier, bei einer der absolut meistbenutzten Ubahn-Abgänge ist keine, hier sind nur IMMER rutschige Treppen. ((((
Warum seh ich sowas so oft, warum seh ich viel zu oft Menschen sterben?
Ich kann das nicht ertragen, ich muss nun an die Angehörigen denken, an die Enkel, die sich fragen wieso der Opa nicht zum spielen kommt.. an die Frau, die nun Witwe geworden ist..
Und der Mann lag da, in seinem Blut, und hat nicht mehr geatmet und.. ((((
Mein Gott, wieso bin ich denn so empfindlich.. Andere gehen weiter und lachen und reden fröhlich als wär nix.
Mein Stiefvater fands auch lustig.. grad meine Reaktion..
Ist das so übertrieben.. wenn man sieht wie da ein Mensch unnötigerweise stirbt, und man kann NICHTS tun????!
Ich könnte nur weinen, mir ist so schwer ums Herz, das Thema Tod belastet mich so, und jetzt wirds wohl noch schwerer.. ich krieg einfach auch die Bilder nimmer weg..
Sorry ich musste das loswerden, ich bin so schockiert und traurig und fertig und ängstlich und habe solches Mitleid mit fremden Menschen..

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Hallo Turquatic,

es tut mir so leid, dass Du das erleben musstest. Mit dem Tod oder Unfällen konfrontiert werden, ist nie einfach, besonders da der Tod in unserer westlichen Kultur ein Taboo ist. Er wird ins Abseits gedrängt und deswegen schockt einen die Konfrontation um so mehr.

Sei froh, dass Du so sensibel bist, denn wenn Du jetzt Emotionen und Trauer fühlst, weisst Du, dass Du diese Gefühle verarbeiten kannst. Viele Menschen gehen bei einem solchen Anblick in eine Art von Schock, d.h. das Hirn schaltet die negative Emotion aus und reagiert mit Lachen oder Ignorieren des Umstandes. Aber tief im Inneren bleiben diese Bilder hängen. Sie werden nur nicht wirklich verarbeitet sondern nur verdrängt. Irgendwann kommen die Emotionen dann doch hoch.

Zum eigentlichen Unfall: Der Mensch überlebt sehr viel mehr als man denkt. Vielleicht war der Mann nur bewusstlos und ist mittlerweile wieder auf dem Wege der Besserung. Ich hoffe sehr...

Also, halt die Ohren steif.

[Turquatic]

danke..
Ich versteh selbst gar nicht so richtig, warum mich das so extrem mitnimmt.
Aber es war ein so.. grauenhafter Anblick, das hat sich festgebrannt.
Der Mann hat mich ausserdem ein bisschen an meinen Opa erinnert..
Ich hoffe so sehr dass er noch lebt und 'nur' verletzt ist, aber irgendwie kann ich daran nicht glauben, nicht nach diesem Anblick.

Der Tod ist so grauenhaft, und ich wage nicht daran zu denken wie ich reagiere, wenn ich eine geliebte Person verlieren muss.
Ich hab so schreckliche, schreckliche Verlustangst.
Was kann ich denn da tun..

Mein Gott, im Augenblick halte ich mich für absolut nicht lebensfähig.. ich will mich nur verkriechen..

[Nicht_der_Papa]

Ich habe bei deinem Bericht daran denken müssen, wie ich mit 22 in Frankfurt gearbeitet habe. Da saß ein Mann an der Straße mit weißem Haar und Bart. Auf dem Schild um seinen Hals stand Auch ich bin ein Mensch. Es hat mich zutiefst berührt (Ich fand es so furchtbar, dass ich heulen musste) und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht.
Es ist die Betroffenheit, die aus deinem Beitrag spricht. Wenn man älter wird dann hat man sich schon einige Verdrängungsmechanismen zugelegt. Man schaut nicht mehr so genau hin, weil man sich an Elend gewöhnt. Man müsste sich sonst ständig betroffen fühlen. Betroffen von Dingen, die man nicht ändern kann und die man nicht verursacht hat.

Ich kann mir gut vorstellen, wie geschockt Du bist. Es ist ein schlimmes Erlebnis.
Doch er hat sicher sein Leben gelebt. Er war schon alt.
Es sterben unablässig Menschen auf dieser Welt und neue werden geboren. Das ist des Lebens Lauf.
Nur wenn wir selbst von einem Tod betroffen sind, dann realisieren wir es und es geht uns nahe.
Die vielen anderen Menschen sind eine anonyme Masse. Man wäre auch kaum noch lebensfähig, wenn man jedes Schicksal so dicht an sich heran liese.

Wir wissen nicht, was mit uns geschieht, wenn wir gestorben sind. Vielleicht lebt unsere Seele weiter in einem besseren Leben, vielleicht werden wir zu Staub und alles ist vorbei.
Wir wissen nur, dass der Tod unabänderlich ist.
Es ist traurig für die Lebenden einen geliebten Angehörigen zu verlieren. Manchmal brauchen wir sogar viele Jahre, um über den Tod eines geliebten Menschen hinweg zu kommen. Besonders tragisch finde ich auch den Fall, den Silverangel beschreibt.

Ich würde mir wünschen, wir hätten eine andere Kultur, die den Tod weniger traurig sieht.

Denn das Leben für uns geht trotzdem weiter.

[Turquatic]

Es ist nun schon das dritte Mal, dass ich einen sterbenden Menschen gesehen habe..
Nie war es ein friedlicher Tod, immer war es Unfall oder Todeskampf.
Aber das heute war besonders traurig und schockierend für mich, ich kann nicht sagen warum.
Vielleicht, weil ich schon öfters an die Stadtverwaltung schreiben wollte, wie gefährlich gerade diese Treppe ist, da so viele Menschen einander schubsen, drängeln und es eilig haben, hinunter zu kommen.. ausserdem liegt die Treppe halb frei, und irgendwie ist es immer feucht, immer rutschig.
Vielleicht, weil der Anblick dieses Mannes, der so typisch nach 'lieber Großvater' aussieht, wirklich schrecklich war.
Sein weisser Haarkranz war blutig, seine Einkaufstüte lag daneben.
Ich verstehe nicht, wieso ich mir vorstellen muss, wie dieser Mann wohl gelebt hat, ob sein Leben schön und erfüllend war.
Die Hilflosigkeit, der Wunsch die Blutung zu stillen, ich wollte so gerne helfen, ich wollte was tun!
Ich halte mir vor Augen, dass tagtäglich unzählige Menschen sterben müssen, aber es 'hilft' nichts.

Werden meine Emotionen, meine Ängste und die vielen, vielen Gedanken weniger, wenn ich älter werde?
Ich wünsche mir das nämlich, ich hasse diese ganzen Gefühle, ich wäre gerne gleichgültig und kalt.
Ehrlich.. das muss so viel einfacher sein, so viel angenehmer.

Ich bewundere Ärzte ebenso, bewundere Menschen, die stark sind, die nicht gleich seelisch schwanken, wenn sie mit dem Tod konfrontiert werden.
Ich fühl mich so schwach und klein und hilflos und nutzlos gerade.

[kittylee]

Original geschrieben von Turquatic

Er hatte keinen Puls mehr..
...aber niemand hat etwas gemacht...und hat nicht mehr geatmet ...

Das ist ein schreckliches Erlebnis, kein Zweifel und ich wünsche das niemandem. Aber was ich nicht verstehe, ist, warum KEINER der Zuschauer Erste Hilfe geleistet hat und WIEDERBELEBT hat. Denn ob er blutet, ob die Wirbelsäule gebrochen ist, egal, die einzige Überlebenschance hätte er durch eine Aufrechterhaltung des Kreislaufs gehabt . Und da ist jede Sekunde, die man wartet, eine Sekunde, die die Chancen verringert.

[Turquatic]

Sie wollten.. aber die U-Bahnaufsicht hat die Leute abgehalten..

Silver, ich weiss, danke..
Dein Erlebnis klingt ebenso grauenhaft.. wie muss das sein.. wenn ein Mensch sich freiwillig das Leben raubt.. und man bekommt es so deutlich mit.. Ich habe 'nur' mit Leuten zu tun gehabt, die es versucht haben.. eine gute Freundin wollte vor vielen Jahren aus dem Fenster springen.. sie wurde im letzten Moment abgehalten, zurückgezerrt. Sie musste in eine Anstalt.

[kittylee]

Aber ich finde es trotzdem schlimm, weil es ja so "weitreichende" Folgen hat. Und dass die U-Bahnaufsicht die anderen abgehalten hat, ist das allerschlimmste .

[kittylee]

Original geschrieben von *Silverangel
Eigentlich sollte doch jemand von der U-Bahnaufsicht soweit ausgebildet sein um Erste Hilfe leisten zu können, würde ich annehmen.

Genau, da passieren ja öfter mal "Unfälle", da kann doch die Vorgabe nicht sein, einfach nix zu machen.

[Yaelle]

Von welcher U-bahnstation redest du denn, Turquatic?