Ergebnis 1 bis 10 von 10

Thema: Mein Vater hätte heute Geburtstag gehabt ...

  1. #1
    Registriert seit
    16.08.06
    Beiträge
    6,472

    Standard Mein Vater hätte heute Geburtstag gehabt ...

    Anzeige
    Ich möchte diesen Thread eröffnen, nicht nur für mich selbst, sondern auch im Gedanken an meinen Vater und für all diejenigen hier aus dem Forum, die einen Elternteil verloren haben ....

    Mein Vater wäre heute 63 geworden. Er ist vor 9 Jahren gestorben, 4 Tage vor seinem 53. Geburtstag. Er hat sich das Leben genommen.

    Ich habe schwer an diesem Suizid getragen, jahrelang. Die Beziehung zu meinem Vater war sehr ambivalent, Zuckerbrot und Peitsche. Große Liebe zwischen Vater und Tochter, großes Drama, große Eifersucht seinerseits, 2 Jahre haben wir nicht zusammen gesprochen. Wenn aber eines zwischen uns war, dann Seelenverwandtschaft. Vielleicht habe ich mir gerade deshalb soviele Vorwürfe gemacht, als er sich umbrachte. Weil ich dachte, dass ICH es hätte merken müssen.

    Mein Vater war ein schillernder Mensch, sehr facettenreich. Ein Achterbahnfahrer, ein begabter Musiker, ein Lyriker, ein Chaot, ein Charismat, ein Choleriker, eine Charmeoffensive. Vielleicht tue ich ihm unrecht, wenn ich schreibe: Dr. Jekyll und Mr. Hide ... aber ich habe es oft so empfunden.

    Besonders schwer war es für mich, dass ich das, was in meiner Kindheit so passiert ist, mit ihm nicht mehr besprechen konnte. Ich konnte ihn nichts mehr fragen, ich hatte keinen Counterpart bei der Verarbeitung, selbst das Vergeben musste ich mit mir selbst ausmachen. Schade finde ich auch, dass er meine Entwicklung zur reifen Frau nicht mehr hat miterleben können. Ich war 32 als er starb und eigentlich im Kopf auch nicht wesentlich älter als 18 .... wirklich gereift bin ich erst nach seinem Tod.

    So stand ich heute morgen am offenen Fenster, schaute über unsere Felder, rauchte mir eine Zigarette in memoriam an meinen Kette rauchenden Vater und es war mir fast, als wäre er bei mir. Als würde er mir körperlich nahe sein, mich umfassen, mich trösten.

    Ich denke nicht mehr jeden Tag an ihn, so wie früher. Die Trauer verändert ihr Gesicht, das Leben ist oft so turbulent, der Arbeitsalltag, so dass nicht immer Zeit ist für die Gedanken an ihn. Und vielleicht ist das auch ganz gut so, denn es wäre nicht in seinem Sinn, immer nur in der Vergangenheit zu leben.

    Manchmal, wenn ich in den Spiegel schaue, dann sehe ich die Augen meines Vaters. Der selbe Blick, das selbe Blau und genau wie er bekomme ich langsam Schlupflider Ich seh ihn oft in meinem Gesicht wieder, oder auch in Gesten oder Worten.

    Und mir wird manchmal so schmerzlich bewusst, dass es niemals mehr in meinem Leben und auf der ganzen Welt einen Menschen geben wird, zu dem ich "Papa" sagen kann. Mit seinem Tod ist dieses Wort aus meinem Vokabular entfallen. Denn wenn ich von ihm spreche sage ich "mein VATER" .... das Wort PAPA existiert nicht mehr ... denn wen sollte ich jemals nochmal so nennen ?

    Trotzdem, an dieser Stelle:

    Happy Birthday, Papa

    Choco

  2. #2
    Registriert seit
    02.10.03
    Beiträge
    440
    Zweimal musste ich Deinen Post lesen, liebe Choco - das hast Du sehr, sehr schön geschrieben.

    Ich stelle es mir sehr schmerzhaft vor, was Du erlebt hast. Antworten, auf Fragen, die Du stellst nicht mehr gegeben werden können... Zwiesprache, wie es so schön heißt, die man mit seinem Vater hält.

    Der Schmerz verändert sich, da hast Du Recht, der Verlust aber, der bleibt - nach wie vor. Ich habe meinen Vater sehr früh verloren, war 17. Wir hatten also weniger Zeit miteinander, als die vielen Jahre, die ohne ihn ins Land gezogen sind. Und obwohl wir ein sehr gutes Verhältnis miteinander hatten, stand ich meiner Mutter doch noch sehr viel näher, bin ihr sehr ähnlich, wie man mir sagt.

    In letzter Zeit allerdings bemerke ich - ebenso wie Du - viele Gemeinsamkeinten mit meinem Vater. Entdecke sie in meinem Spiegelbild und vor allem in bestimmten Wesenszügen, die wir tatsächlich gemeinsam haben. Ganz besonders sind da seine Besonnenheit, seine Gelassenheit (gottogott, und das MIR! Doch, es ist so).

    Daran freue ich mich, finde, das ist ein sehr schönes Vermächtnis, mehr geht fast schon nicht.

    Sein Geburtstag ist immer noch ein ganz besonderer Tag, melancholisch werde ich nie zu Weihnachten, sondern an Geburtstagen (auch die unsere eigenen sind ja nicht mehr 'komplett', nicht wahr?).

    Wirst Du denn heute mit Deiner Familie zusammen kommen?

    Ich schick Dir ganz liebe Grüße
    reggi

  3. #3
    Registriert seit
    12.04.08
    Ort
    Rhein-Neckar-Kreis
    Beiträge
    10,930
    Hui, ich habe gerade eine dicke Gänsehaut bekommen beim Lesen.

    Ein sehr schöner Text, Choco!

    Meine Eltern leben beide noch, das Gefühl, dass sich die Trauer verändert, kenne ich aber vom Tod meiner lieben Oma vor gut 2 Jahren.


    Ich weiß, es ist ein abgedroschener Satz, aber immer wieder muss ich feststellen, wie viel Wahrheit doch in ihm steckt:

    Das Leben geht weiter.
    __________


  4. #4
    Registriert seit
    06.11.03
    Beiträge
    676
    Hallo Choco,

    das ist sehr traurig, was Du schreibst und hat mich sehr angerührt.
    Auch wenn wir uns nicht kennen...Danke, dass Du uns daran teilnehmen läßt

    kalli

  5. #5
    Registriert seit
    12.03.07
    Ort
    OWL
    Beiträge
    10,260
    Mir sind beim Lesen die Tränen gekommen. Ich finde es toll das du diesen Thread eröffnet hast.

    Es muss wahnsinnig schwer für dich gewesen sein das dein Vater auf einmal nicht mehr da war. Vor allem das du keine Chance hattest dich von ihm zu verabschieden. Auf diese Weise ein Elternteil zu verlieren ist super tragisch. Ich stelle mir das ganz schlimm vor. Meine Mum hat sowas als kleines Mädchen erlebt. Mein Großvater hat sich auch umgebracht. Sie weiß bis heute nicht warum, war aber auch damals mit knapp 10 Jahren zu jung um es zu verstehen.

    Mein Stiefvater ist vor 6 Jahren gestorben. Er war für mich mein richtiger und einziger Vater den ich je hatte. Das war so heftig. Vor allem weil ich zusehen musste wie dieser ehemals so starke Mann nach und nach nicht mehr er selber war. Er hatte einen Hirntumor und war zum Schluß wie ein kleines Kind. Ich bin heute noch froh das ich ihm (als er noch klar denken konnte) einen ganz langen und ausführlichen Brief geschrieben habe.
    Ich habe ihm geschrieben wieviel er mir bedeutet und das ich mich für alles bedanke was er für mich getan hat.

  6. #6
    Registriert seit
    21.12.08
    Ort
    Na wo schon...
    Beiträge
    8,613
    Ach Choco, auch mir sind hier gerade fast die Tränen gekommen.

    Der Geburtstag meines Vaters wäre am 11. Mai, ist also auch nicht mehr weit entfernt.

    Er ist 2006 gestorben, nach vier Jahren Krankheit, Krebs. Er war zum Schluß sehr 'neben sich', wir wußten allerdings nicht genau, ob es Hirnmetastasen oder Demenz waren.

    Mein Papi war ein sehr stiller, introvertierter Mensch, er stand nie gern im Mittelpunkt und über Gefühle sprechen ging gar nicht. (Da habe ich allerdings auch nicht so ein wirkliches Händchen für )

    Er durfte meine Hochzeit noch miterleben, was sehr schön für ihn war, er liebte meinen Mann sehr.

    Als ich mich von ihm verabschiedet habe, ein paar Wochen vor seinem Tod, wir saßen gemeinsam vor dem Fernseher und sahen irgendeine Tier-Sendung, nahm ich ihn in den Arm und sagte "Ich hab Dich lieb, Papi". Und er sagte, er hatte plötzlich irgendwie einen klaren Moment, "Ich hab Dich auch lieb, Schätzchen". Danach hat er mich nicht wirklich mehr erkannt.

    Choco, ich denke an Dich und Deinen Vater.

  7. #7
    Registriert seit
    07.05.03
    Ort
    Naturpark Südheide
    Beiträge
    4,676
    Jetzt sitze ich hier, um mich rum geht gerade die Welt unter (wir haben ein sehr schlimmes Gewitter), und lese zufällig gerade diesen Thread, der mir die Tränen in die Augen treibt. Der Todestag von meinem Papa jährt sich am 3. Mai zum 8. Mal. Er hatte zwar lange Zeit Herzprobleme, starb dann für uns aber doch total plötzlich.

    Viele Dinge die Du schreibst, Choco, sind mir gerade in letzter Zeit auch besonders aufgefallen: Die Ähnlichkeit im Spiegel und dass es das Wort "Papa" in meinem Wortschatz quasi nicht mehr gibt.

    Gerade im Hinblick auf den Todestag habe ich immer wieder das Gefühl, egal wie viele Jahre das zurückliegt, der Abstand zwischen "jetzt" und diesem Datum in der Vergangenheit wird niemals kleiner, also ich denke nie "das ist schon 8 Jahre her". Die Trauer hat sich zwar verändert und ist mittlerweile weniger schwer zu ertragen, aber er fehlt einfach immer. Ganz besonders schlimm war es letztes Jahr auf meiner Hochzeit.

    Ihr alle da draußen, die ihr ähnliches erlebt habt, fühlt euch gedrückt von mir.

    Liebe Grüße,
    GlamourGirl
    "And above all, watch with glittering eyes the whole world around you
    because the greatest secrets are always hidden in the most unlikely places.
    Those who don`t believe in magic will never find it."
    (Roald Dahl)

  8. #8
    Registriert seit
    21.01.08
    Beiträge
    25,902
    Hallo Choco,

    Du hast diesen Thread toll geschrieben, Deine Worte sind so ehrlich, so gefühlvoll und doch so traurig und mit wunderschönen Erinnerungen zugleich gefüllt!


    Dein Papa ist zwar nicht mehr bei Dir, aber in Deinem Herzen ist und wird er immer da sein! Und ich bin mir ganz sicher, das er irgendwo auch das alles sieht und weiss!

    Ich pers. glaube ganz fest an ein Leben nach dem Tod. Das kann nicht alles gewesen sein, und wenn Du Deinen Papa wieder triffst, kannst Du ihm sagen, wie gern Du ihn hast!

    Auch wenn Du einiges mit Dir selber ausmachen musstest, und auch ungeklärtes im Raum steht- so behalte doch die schönen Erinnerungen im Herzen, die Liebe und die Zusammengehörigkeit mit dem Respekt zu Deinem tollen Vater. Er ist zwar früher gegangen, aber für Dich wieder er immer da sein!

    Es nützt Dir nichts, wenn Du Dir den Kopf zermürbst über Fragen, die nur er beantworten kann. Behalte einfach alles Schöne und denke in Frieden an euere gemeinsame Zeit zurück! In Deinen Erinnerungen wird er immer weiterleben!

    Ich drücke Dich,

    Lara
    [FONT="Times New Roman"] Hab keine Erwartungen, dann wirst Du auch nicht enttäuscht! [/FONT]

  9. #9
    Registriert seit
    02.11.08
    Ort
    berlin
    Beiträge
    3,236
    das hast du ganz toll geschrieben,choco,sehr episch und ich musste grad weinen darüber.

  10. #10
    Registriert seit
    17.03.09
    Ort
    NRW
    Beiträge
    179
    Anzeige
    Ich find's schön, das in unserer schnellen Glitzerwelt ein wenig Platz für die Väter bleibt, danke Choco.

    Auch ich lass ein paar Gedanken an meinen Papa da - er starb 2006 an seinem 77. Geburtstag.

    Charifee
    Manche Hähne glauben, dass die Sonne Ihretwegen aufgeht......

Ähnliche Themen

  1. Îch hatte heute mein erstes Mal :D
    Von Schnurpsel im Forum Beauty
    Antworten: 7
    Letzter Beitrag: 19.10.06, 13:44:25
  2. Antworten: 5
    Letzter Beitrag: 04.01.06, 18:46:46
  3. mein Vater spinnt :(
    Von devil6 im Forum That's Life
    Antworten: 18
    Letzter Beitrag: 29.03.03, 17:33:07
  4. Antworten: 13
    Letzter Beitrag: 04.03.03, 13:31:15
  5. Mein VATER needs YOU...
    Von Isis im Forum Beauty
    Antworten: 18
    Letzter Beitrag: 04.12.02, 12:35:02

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •