Kunde = König?

[all about eve]

Ich hatte heute ein ziemlich befremdliches und für mich trauriges Erlebnis, das mich irgendwie nicht loslässt. Nachmittags war ich in der Stadt und habe in einer meiner Lieblingsparfümerien vorbeigeschaut, weil ich zwei Düfte testen wollte. Das ist ein kleiner, edler Laden mit vielen exklusiven Nischendüften. Der Laden war voll mit teilweise "aufgetakelten" Damen und Münchner Schicksen, die alle offensichtlich viel Geld hatten. Auch die Verkäuferinnen sehen edel aus, sie verkaufen ja auch edle Stöffchen. Ich wurde zuvorkommend bedient (obwohl nicht augetakelt, da ich am WE meist völlig ungeschminkt bin) - wie immer, ich bin dort auch bekannt. Weniger aufgrund meiner zahlreichen Einkäufe, aber weil ich Ahnung von Düften habe. Und ich fand die Damen bisher dort auch ganz nett.

Nun, heute Nachmittag ging die Tür auf und eine kleine ältere Dame mit einem grauen, abgewetzen Einkaufstrolley, Söckchen, einem unmodernen schlecht sitzenden langem Rock, einem ausgewaschenen T-Shirt und kurzen grauen Haaren kam in leicht gebückter Haltung langsam und zögernd herein. Mein erster Gedanke war auch - ich gestehe - "ui, da hat sich wohl jemand verlaufen". Sie sah zumindest nicht nach viel Geld aus. Naja, was bin ich doch für eine blöde Kuh.

Die Dame rollte - sehr vorsichtig - mit ihrem Trolley durch das Geschäft, schaute einmal hier, einmal da in die Regale und stellte sodann ihren Trolley ab - und wartete.

Minuten vergingen und kein einziger Mensch beachtete sie, obwohl sogar eine (hochnäsig wirkende) Verkäuferin frei war. Noch nicht einmal die schicken Kundinnen im Laden schenkten ihr einen einzigen (herablassenden) Blick. Meine - wirklich sehr nette - Verkäuferin suchte gerade noch Pröbchen für mich heraus und füllte ab und war also noch beschäftigt. Ich hatte derweil Zeit, die ganze Szenerie zu beobachten. Niemand sah die Lady an oder kümmerte sich um sie. Die ältere Dame fühlte sich unsicher, wechselte mit ihrem Trolley mehrfach den Platz, schaute ab und zu schüchtern in die Regale und schnupperte dann an einem der von mir getesteten Flacons von PG, die noch am Tresen herumstanden. Ich erinnerte mich daran, wie zuvorkommend ich vorher bedient wurde und spätestens in dem Moment wurde mir ganz schlecht. Ich versuchte, Blickkontakt zu ihr aufzunehmen, um sie wenigstens einmal freundlich anzulächeln, aber die gebückte kleine Lady sah immer bescheiden auf den Boden, so dass mir das nicht gelang. Vom Verkaufspersonal wurde sie einfach ignoriert, niemand, wirklich niemand hat Anstalten gemacht, sich um sie zu kümmern.

Zwischenzeitlich waren bestimmt 5 Minuten vergangen und normalerweise wird man in dem Geschäft sofort am Eingang abgefangen oder zumindest begrüßt und es wird einem gesagt, dass man gleich für einen da ist. Am liebsten wäre ich hingegangen und hätte sie eigenhändig bedient und gefragt, ob ich ihr helfen kann. Ich habe das Personal laufend beobachtet - niemand schien Interesse zu haben, sich um die alte Dame zu kümmern. Schließlich kam meine Verkäuferin wieder an die Kasse - ich stand etwas abseits - und brachte mir meine Sachen. Ich habe bezahlt - die kleine alte Dame stand immer noch unbeachtet gebückt an einem Regal. Da ich nicht wusste, wie ich mir anders helfen sollte, habe ich dann meine Verkäuferin noch um einen letzten Gefallen gebeten, sich doch bitte um die kleine Lady zu kümmern, die schon so lange wartete. Ihr sei sie auch schon aufgefallen, meinte sie, und zumindest sie ging dann endlich auf sie zu und fragte, was sie denn für sie tun könne.

Ich habe kurz überlegt, ob ich noch bleiben und quasi kontrollieren soll, ob die Lady höflich beraten wird, bin aber dann doch gegangen, weil es vermutlich merkwürdig ausgesehen hätte. Jetzt ärgere ich mich darüber - eigentlich hätte ich bleiben sollen. Versteht mich jemand? Die Situation war einfach unmöglich. Ich finde, gerade solche (älteren) Menschen, die sich wenig leisten können und sich vermutlich ausnahmsweise einmal etwas Schönes gönnen möchten, sollten genauso zuvorkommend behandelt werden, wie jede andere Kundin auch. Allein schon die offensichtliche Unsicherheit, Bescheidenheit und unendliche Geduld der kleinen alten Dame hätte einen doch auf den Plan rufen müssen. Und der Respekt vor dem Alter, egal ob die Kleidung nun abgetragen war und so gar nicht in das schicke Ambiente passte. Jeder wird einmal alt und hat vielleicht nicht mehr so viel Geld - aber auch da hat man doch Respekt verdient. Auch diejenigen, die ihn sich nicht selbst verschaffen können.

Wenn ich selbst schlecht behandelt werde, dann kann ich mich wehren. Wenn ich in einem Geschäft nicht beachtet werde, dann mache ich auf mich aufmerksam - oder ich gehe einfach wieder. Dafür war die kleine Dame wohl zu verunsichert, zu bescheiden oder zu höflich. Gerade das macht mich so traurig - wie hat sie sich wohl dabei zwischen all' den hochnäsigen Menschen gefühlt, dass sie einfach ignoriert wurde?

Was hättet ihr in der Situation getan? Die Lady angesprochen? Die oben erwähnte frei stehende Verkäuferin auf ihre Pflichten hingewiesen (was der alten Dame vermutlich nicht sonderlich zugute gekommen wäre)? Einen Aufstand im Geschäft gemacht? Ich bin gerade nicht mit mir im Reinen. Klar, es gibt bestimmt Schlimmeres. Aber mich hat das heute ordentlich 'runtergezogen und ich frage mich, wie die schüchterne alte Dame wohl heute ihren Abend verbringt, wie sie sich fühlt und ich hoffe inständig, dass sie letztendlich freundlich beraten wurde und noch etwas Schönes gefunden hat, was ihr lange Freude bereitet - auch wenn es vielleicht nur Erfrischungstücher waren.

[Elke H.]

Du hast ein gutes Herz, eve!

Ich hätte es wohl ganz genauso gemacht wie Du.

Wenn man mehr Zeit zum Überlegen hätte (ich bin da selbst auch nicht so spontan, mir fällt sowas immer erst nachher ein), hättest Du die Verkäuferin auch bitten können, die alte Dame zwischendrin dranzunehmen, und viellt. gesagt, Du hättest heute viel Zeit und möchtest Dich noch umsehen.

Schlimm, wenn das Verkaufspersonal so hochnäsig ist. Jeder - auch solche Snobs - können von Altersarmut betroffen sein. Soweit denken die aber nicht.

Für mich ist das z. B. selbstverständlich, die Kassiererin im Supermarkt zu grüßen und sie dabei anzusehen und als Mensch wahrzunehmen und nicht als Geldkassierautomat. Und (außer es ist jemand ausgesprochen unfreundlich) ich wünsche auch immer "noch einen schönen Tag" oder "ein schönes Wochenende".

Ich kann sehr gut verstehen, dass die alte Dame noch in Deinen Gedanken rumgeistert. Aber Du hast das prima gelöst, finde ich.

[Jill]

Ich finde das sehr anrührend, wie du das beschrieben hast. Wie wäre es mit genau diesen Zeilen an die Geschäftsleitung?? Ich finde dass man als Chef sein Team genau dahin bringen sollte, es muss einfach eine Selbstverständlichkeit sein oder dann zumindest werden.

[Exuser3]

Das zu lesen macht mich traurig und depressiv.

Keine Ahnung was ich gemacht hätte. Spontan sag ich ich hätte gewartet, ob die Frau angemessen also vernünftig beraten und bedient wird. Ich für mich selber hätte dann auch entschieden, je nachdem wie es da ablief, ob ich da weiterhin kaufe. Ist ja nicht so als wären Düfte weiterhin nur in einem Geschäft erhältlich. Wenn mir so richtig was gegen den Strich geht versuche ich konsequent zu sein und große Einkäufe dort nicht mehr zu tätigen.

So wie Elke schreibt ihr den Vortritt zu lassen wäre auch ne gute Möglichkeit gewesen. Man denkt halt nur nicht an alle Möglichkeiten wenn man grad selber involviert ist.

Mich zieht so was für ein paar Tage runter und ich denke immer Altersarmut kann uns auch treffen, trotz Vorsorge. Und wenn wir dann, auch als Stammkunden in der einen oder anderen Parfümerie, nicht mehr den sprichwörtlichen Rubel rollen lassen werden wir mit Sicherheit auch ignoriert.
Fakt ist, man will da nur unser Geld, oder? Primär zumindest. Die Gespräche über die Düfte ordne ich mal als Nebensache ein für das Personal. Aber vielleicht bin ich auch grad nur arschig. Aber ich denke es ist so. Money makes the world go round und nix anderes

Losgelöst davon wäre vielleicht ein Brief an den Inhaber eine Überlegung wert in dem Du das heutige Erlebnis schilderst

[Mad Hatter]

Mir hätte es auch leid getan Was ich getan hätte? Ich weiß nicht, ich kann auch ganz schön schüchtern sein...

Ich kenne die Situation des nicht direkt bedient werden recht gut, wenn ich alleine bin werde ich natürlich auch kaum von Verkäuferinnen angesprochen, bei einer Schülerin ist halt für gewöhnlich nichts zu holen
Mir persönlich ist das aber eben meistens recht, ich schaue lieber in Ruhe, ich kann ja immer noch eine Verkäuferin ansprechen. Wobei es natürlich auch bei unserem Douglas gerade ein paar jüngere, sehr nette und hilfsbereite Verkäuferinnen gibt, die sofort hereilen, wenn man Interesse zeigt, die älteren Damen tuen das seltener. Ich denke in meinem Fall ist es auch okay, ich kann mir vorstellen, dass die Verkäuferinnen einfach wissen, dass die meisten in meinem Alter einfach nicht von Verkäufern betüdelt werden wollen.

Aber wenn eine offensichtlich freie Verkäuferin eine Dame stehen lässt, die auch noch dezent auf sich aufmerksam macht, eben in dem sie so dasteht, dann finde ich das auch eher daneben, jeder kann sich ja mal was gönnen und hat da Beratung verdient, außerdem, SO abgehoben teuer ist ein schöner Duft ja auch nicht.
Ich meine, wenn die Durchschnittstouristen mal eben in den teuersten Laden in Saint Tropez oder Monte Carlo reingeht, dann würde ich schon fast verstehen können, dass die Verkäufer sie nicht für voll nehmen.

Generell erwarte ich eh immer eine angemessen höfliche Behandlung wenn ich Kunde bin, natürlich will ich nicht, dass man mir irgendwo den roten Teppich ausrollt, aber pampige oder unhöfliche Kellnerinnen oder Verkäuferinnen bleiben mir immer unangenehm im Hinterkopf. Den Laden von Tele*** betrete ich gar nicht mehr, da ich da bis dato immer sehr unfreundlich behandelt wurde und das auch bei anderen Kunden erlebt habe, der Weg zur Konkurrenz war nach dem 2. Besuch dort die einzige für mich bleibende Lösung, mehrmals muss ich mir das nicht antun.
Im Gegenzug finde ich aber auch, dass Kunden höflich bleiben müssen, die Mitarbeiter sind ja keine Dienstmädchen, nur um auch das mal zu betonen.
Klar, jeder hat mal nen schlechten Tag, aber halbwegs nett sollte schon noch drin sein.

[jerry]

Ich könnte heulen, wenn ich das lese.

Was ich getan hätte...spontan fällt mir ein, das Frauchen an der Hand genommen u. ihr etwas Hilfe angeboten oder ein unverfängliches Gespräch angefangen, aber in der Realität schauts dann doch wieder anders aus ob man sich traut u. tausend Gedanken...will das Gegenüber es überhaupt.

Diese Arrogantheit Ärmeren gegenüber wird wohl immer bleiben u. das macht mich so wütend .

Hauptsache der äussere Schein passt *kotz*

[nordic83]

Was ich getan hätte? Ich weiß es gar nicht so genau, aber ich wäre wahrscheinlich nicht auf die Dame zugegangen, vielleicht auch, weil ich mich ihr nicht "aufdrängen" will. Wie du es beschreibst, berührt es mich aber genauso wie dich.
Die Situtation an sich ist nicht vertretbar, vielleicht solltest du wirklich überlegen, die Geschäftsleitung darauf aufmerksam zu machen.

Ignorantes Verhalten (egal ob privat oder geschäftlich) macht mich eher wütend als traurig - ich denke, niemand möchte so behandelt werden...

Die oben beschriebenen Verkäufer/innen kenne ich auch: Gerade am Wochenende gehe ich gerne ungeschminkt und mit Turnschuhen in die Innenstadt. Der Vormittag am Samstag gehört mir meistens ganz allein und da fällt das Styling oft dezent aus.
Ich finde es interessant, wie genau die Verkäuferinnen, die mich zunächst ignorieren, dann aus allen Wolken fallen, wenn ich teure Schuhe in bar bezahle oder ihnen meine (teure) Tasche auffällt. Dann wird mit Proben um sich geschmissen.

Ich kann mich nicht davon freisprechen: Wir urteilen nunmal nach dem Äußeren der Menschen und als Verkäuferin wird man vermutlich darauf getrimmt, die zahlungskräftigen Kunden zuvorkommender zu behandeln - ob das dann immer der richtige Weg ist, ist fraglich.

[Tommasina]

Schön, dass es Menschen wie dich gibt, denen sowas noch auffällt und die sich darüber aufregen.

Ich finde, du hast richtig gehandelt, hast dafür gesorgt, dass die Kundin beachtet und bedient wurde.

Ja, vielleicht hätte ich sie beim Warten angesprochen, vielleicht dass sie gerne vorkann, ich wolle eh noch ein wenig gucken oder so.

Ich hätte aber, und da bin ich mir sicher, genau wie du die Verkäuferin auf die Kundin hingewiesen und dafür gesorgt, dass sie bedient wird.

Die hochnäsige Herumsteherin hätte ich auch nicht angesprochen, die "eigene" nette Verkäuferin zu bitten sich zu kümmern scheint mir auch die bessere Strategie.

Sich an die Geschäftsführung wenden, hmm, ist halt immer schwierig, eine Reaktion würde ich da nicht unbedingt erwarten, aber manchmal tut es ja schon gut, wenn man sein Befremden und seinen Unmut äussern kann.

[hibernating]

Man könnte sich damit trösten, dass es der alten Dame egal sein könnte, wie sie auftritt. Es könnte auch sein, dass sie absichtlich so aussieht und / oder dass sie sich später wegen des mangelhaften Services beschwert haben könnte (als Eve weg war).

Total ätzend finde ich das Verhalten der Angestellten. Es scheint wohl üblich zu sein, dass Verkäufer in Nobelgeschäften arrogant sind. Ich frage mich, warum? Die müssen sich auch den Hintern wischen, das sollte man sich wohl vor Augen halten.
So etwas ist für mich ein Grund, das Geschäft zu meiden.
Auch kann ich mir vorstellen, dass die nicht automatisch viel mehr Geld verdienen als bei Karstadt, es werden dieselben Tarife gelten, oder? Vielleicht bekommen sie eine Provision.

Vermutlich hätte ich gewartet, wie die Frau bedient werden würde und mich (als Stammkundin) ggf beschwert.

[geruchsvictim]

Im Fall der kleinen Dame hätte auch ich meine freundlichen Verkäuferin auf sie angesetzt - vielleicht sogar unauffällig die Szene beobachtet oder - noch besser - sie zwischendurch bedienen lassen.

Solchen Verkäuferinnen, wie du sie beobachtet hast, würden mir persönlich das Geschäft verleiden.
Wahrscheinlich würde ich einen Brief an die Geschäftsführung schicken.
Im schlimmsten Fall hast du aber auch genau die Firmenpolitik beobachten können und solche unscheinbaren Kunden werden bewusst ignoriert.