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paulinka
Ich sehe solche Filme/Serien immer auch mit einer gewissen Zuschauerdistanz, also mir ist klar, dass keine Geschichte, schon gar nicht über 20 Folgen, also hier 20 Zeitstunden, funktioniert ohne funkenschlagende Konflikte, ohne Entwicklungen und Wendungen, bei denen der Zuschauer die Hände überm Kopf zusammenschlägt, mitfiebert, mitleidet oder auch wütend wird auf eine Figur. Wenn eine Serie das erreicht, ist sie gut und erfolgreich.
Da gebe ich dir völlig recht und würde sogar sagen, dass eine gut gemachte Geschichte, unsere ureigensten inneren Konflikte und Emotionen anspricht.
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paulinka
Johannes war die zentrale Figur, ein Patriarch und Übervater (was Christian zum Ende ja gesagt hat: "Für uns warst du Gott") und dementsprechend war seine Fallhöhe angelegt. Und die hat der Macher Adam Price weidlich ausgekostet, Johannes ist durch alle Stadien von Erfolg bis Gosse, von Hochmut bis Demut.
Klar, wurde Johannes als Gottesfigur inszeniert. Aber da ist dann mein Konflikt: Ich selbst kenne nur einen gütigen Gott und das war Johannes in keinster Weise. Selbst wenn er entsprechende Ansätze gezeigt hat, waren die immer zutiefst Befriedigung seiner Wünsche.
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paulinka
Hätten alle Figuren so gehandelt, wie sie idealerweise hätten handeln sollen, hätte uns das noch interessiert? Also mich jedenfalls nicht. Gerade diese falschen Entscheidungen, Egoismen, Irrwege oder schicksalshaften Begebenheiten wie Augusts fataler Schuss und was sich daraus entwickelt hat für die ganze Familie, machten die Sache doch so spannend und verliehen der Serie echt ihre emotionale Wucht.
Absolute Zustimmung. Aber als Zuschauer hat man eben die Möglichkeit, es gedanklich besser und anders machen zu können. Ob es dann wirklich gut gewesen wäre, wissen wir ja auch nicht.
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paulinka
Johannes hat mir oft leid getan. Er litt unter dem Verlust von August und seiner Schuld mindestens so schwer wie die anderen, wenn nicht mehr, war aber ein Gefangener seiner selbst. Wie er sich zusammenschlagen ließ, war doch schrecklich und zeigte seine tiefen Schmerz.
Zustimmung, aber auch hier hätte er sich helfen lassen können. Wenn nicht professionell, dann durch einen Seelsorger. Aber er war selbst viel zu wenig Seelsorger als das er hätte begreifen können, dass seelsorgerische Begleitung hilfreich bei der Bewältigung von seelischem Schmerz sein kann.
Edit: Ich frage mich gerade, ob Johannes seinen inneren Schmerz nur durch das Zusammenschlagen lassen überhaupt spüren konnte.
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paulinka
Wir gehen hier mit weltlichen psychologischen Maßstäben an die Sache, aber er war ein hochrangiger Priester, einer, der an Gott glaubte, ich habe ihm abgenommen, dass er August schützen wollte und der Überzeugung war, mit Gottes Hilfe könne er das Trauma besser bewältigen als mit einem Psychiater. Natürlich hat er damit auch sich selbst und den Ruf der Familie geschützt, dafür hat er später auch bitter bezahlen müssen.
Ah, mir war Johannes da viel zu weltlich und hat nur an seinen Ruf und den Ruf der Familie gedacht. Da habe ich ihn einfach nur als egoistisch wahrgenommen und überhaupt nicht als Christ, höchstens als sehr engstirnigen und nicht an Vergebung glaubenden.
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paulinka
Und Emilie, na ja. Heiratet als Atheistin eine Pfarrer, der aus einer Pfarrersdynastie stammt. Auch das ist natürlich bilderbuchmäßig angelegt im Plot, dementsprechend konnte Konflikte nicht ausbleiben. Hätte August noch gelebt, hätte sie die Sache mit der Taufe mit ihm durchfechten müssen. Die Taufe, eine rein rituelle Handlung ohne Konsequenzen für das Kind (die Taufe war ja nicht offiziell und wäre gar nie ans Licht gekommen ohne die Kameras) kann man doch nicht mit einer Beschneidung vergleichen. Aber auch da: Johannes bezahlt diesen Übergriff letztlich mit seinem Job!
Emilie hat aus Liebe geheiratet. Ihr das als Vorwurf zu machen, dass sie Atheistin ist, finde ich wirklich heftig. Wo ist da die Verantwortung von August, der aus einem Pfarrhaushalt kommen, selbst Pastor ist, und viel mehr hätte darum wissen müssen, wie schwierig das für sie werden würde.
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paulinka
Dass Elisabeth bei Johannes geblieben bzw. zu ihm zurückgekehrt ist, habe ich auch verstanden. Die beiden verband eine tiefe Liebe und in einer solchen Situation lässt man sich nicht im Stich. Für mich war das Ende auch keine wirkliche Trennung, Elisabeth ist einfach mal los auf ihren Weg mit offenem Ende.
In welcher Situation lässt man sich nicht im Stich? Wenn man ein Kind verliert? Doch, daran zerbrechen sehr viele Beziehungen. Die beiden hatten ja schon vorher ihre Probleme. Johannes hat Elisabeth durch seine Eskapaden oft gedemütigt, aber der Tod eines Kindes zerbricht oft auch das, was solche Beziehungen trotzdem zusammenhält. Man ist dann eigentlich nur noch Vater und Mutter, aber nicht mehr Eltern und schon gar kein Paar mehr. Man ist allein, weil man nur noch trauert. In der Trauer ist keine Gemeinsamkeit mehr.
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Ich finde es schon spannend, wie unterschiedlich der Blick von Frauen auf so eine Serie ist und finde den Austausch dazu wirklich anregend.
Man darf Wahrheit nicht mit Mehrheit verwechseln. (J. Cocteau)