Der Organmarkt
Spenderorgane sind Mangelware. Zehntausende Menschen stehen auf den Wartelisten, nicht selten dauert es Jahre, bis ein passendes Organ zur Verfügung steht - wenn überhaupt. Und die Wartezeit wird immer länger. Zu lang für viele. Da verwundert es nicht, dass der internationale Organhandel blüht, auch in Indien. Doch die Folgen für die betroffenen Menschen sind oft fatal.
Frauen verkaufen eine Niere, um ihre Kinder zu ernähren. Offiziell ist der Organhandel in Indien verboten. Die Vorschriften lassen sich jedoch leicht umgehen. Papiere werden gefälscht, aus dem Wildfremden wird ein vermeintlicher Cousin oder ein Stiefbruder. Auf dem Schwarzmarkt bekommt man eine Niere von einem lebenden Spender für 60.000 US-Dollar. Je länger die Wartezeit der Patienten ist, desto größer ist auch die Bereitschaft, sich das Organ für viel Geld zu kaufen - und die weltweite Nachfrage steigt.
Vor allem der Handel mit Nieren floriert, denn die Niere ist das einzige lebenswichtige Organ, das entnommen werden kann, ohne dass ein Spender stirbt. Neben dem Organhandel in Europa oder Nordamerika nimmt auch der "Transplantationstourismus" zu. Zahlungskräftige Patienten aus dem Ausland lassen sich beispielsweise in chinesischen, indischen oder pakistanischen Kliniken neue Organe einsetzen. Deren Herkunft ist jedoch fragwürdig.
Die Not der Spender vergrößert sich nur
Nierenspenderinnen in Indien Das Motiv für die Organspender ist ausschließlich finanzielle Not. Sie riskieren ihre Gesundheit in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Oft sind es Frauen, die keinen anderen Ausweg sehen, als eine Niere zu verkaufen, um ihre Schulden zu tilgen und ihre Kinder zu ernähren. Doch von dem Geld, dass die Patienten für ein Spenderorgan zahlen, sehen sie nur wenig. Den Großteil kassieren die Händler - lokale Vermittler, Ärzte und Agenturen - für ihre mehr oder weniger illegalen Transaktionen.
Das wenige Geld, das die Spender erhalten, lindert ihre Not kaum und ist bald aufgebraucht. Meist geht es ihnen dann schlechter als zuvor, denn sie leiden unter den gravierenden körperlichen Folgen der Transplantation, vor denen sie natürlich niemand gewarnt hat. Wegen der fehlenden medizinischen Nachsorge kommt es häufig zu Komplikationen. Die Menschen können nicht mehr arbeiten und machen neue Schulden - der Kreislauf beginnt von vorn.
Europarat hat Organhandel den Kampf angesagt
Ein Nierenspender zeigt seine Operationsnarbe. Organhandel ist aber kein typisch indisches Problem, sondern ein weltweites. In zahllosen Schwellenländern oder Ländern der sogenannten "Dritten Welt" wird mit der Not der Menschen Geschäfte gemacht, sei es in Pakistan, Bangladesh, Brasilien oder auf dem Balkan. Ganz oben auf dieser unrühmlichen Liste steht China. Hier werden die Organe von hingerichteten oder verstorbenen Strafgefangenen sogar offen kommerziell "verwertet" - mit internationaler Duldung. Denn auch Patienten westlicher Länder verdanken chinesischen Hingerichteten zum Teil ihre neuen Herzen, Lebern und Nieren.
Zwar hat der Europarat dem Organhandel inzwischen den Kampf angesagt und im November 2013 einen Entwurf für eine erste umfassende Konvention verabschiedet. Doch bis zum Inkrafttreten und der anschließenden Anpassung der entsprechenden Gesetze in den einzelnen europäischen Ländern wird noch einige Zeit verstreichen.
Auf Spurensuche in "Kidney Village"
Slum von Chennai Autorin und Regisseurin Rama Rau ist in Indien aufgewachsen, lebt und arbeitet heute aber in Kanada. Schon als Kind sind ihr die Narben ihrer Kindermädchen aufgefallen - Spuren des Organmarkts. In der Dokumentation, die Sie am Mittwoch, 27. August 2014, 20.15 Uhr sehen können, gelingt es ihr, sehr tief in die Strukturen des Organhandels in Indien einzutauchen. Sie begleitet mit der Kamera sowohl potenzielle Empfänger, als auch Spender und Händler.
"Vertraut mit der örtlichen Kultur und Sprache", erzählt sie, "begab ich mich auf Spurensuche nach 'Kidney Village', einem der ärmsten Slums in Südindien und Organpool für die Reichen dieser Welt. Ich wollte herausfinden, was die armen Menschen dort bewegt und der Frage nachgehen, ob die Entstehung des bestehenden Marktes unmittelbar mit dem Versagen des nordamerikanischen Gesundheitssystems zusammenhängt."