Erstmal erzählen, ja? Ich hab's nie jemandem erzählt...

Ich habe meinen Mann an seine Depressionen verloren.
Das war kein Leben mehr, die letzten 2 Jahre waren die Hölle.
Ich hatte nie eine faire Chance...wenn der Gegner schwere Depression heißt.
Weder mit gutem Zureden noch mit Druck bekam ich meinen Mann aus dem Bett zum Arzt.
Er ging einfach nicht, Ende aller Bemühungen. Sollte ich körperliche Gewalt ausüben?
Er lag wochenlang im Schlafzimmer und verweigerte Gespräche durch simples Augen schließen und schweigen. Wochenlang, monatelang.
Ich bat, bettelte, flehte: Er stand nicht auf. Den Arzt, den ich rief, schickte er weg.
Bei den letzten Fehlzeiten (praktisch jeden Monat für Tage oder gar Wochen) hatte seine Firma alle Augen zugedrückt, jetzt nicht mehr.
Keine Krankschrift? Abmahnung 1. Schon wieder keine? Abmahnung 2.
Er ging nicht ans Telefon und beantwortete keine mails von Vorgesetzten und Kollegen.
Ich fuhr zu seinem Chef, der zwar verständnisvoll war- aber die Achseln zuckte: es muss eine Krankmeldung her, es gibt Regeln im Arbeitsleben....zu Recht.
Ich berichtete von diesem Gespräch: geschlossene Augen und schweigen. Tagelang, wochenlang. So oft ich reden wollte: Schweigen.
Weder sanft noch energisch noch kurz vor dem Tobsuchtsanfall: Verweigerung und Schweigen.
Telefonnummern von Ärzten, Praxen und Therapeuten: Flogen in den Müll, während ich auf der Arbeit war.
Ich kam Abends heim von der Arbeit: die Wohnung.....eine Gruft.....

Den Job (verdammt gut bezahlt) ist er jetzt übrigens los.
Ich will meinen nicht auch noch verlieren: ich ging also täglich ins office- wenn auch mit zweifelhaften Leistungen...
Alles ging den Bach runter, der Haushalt blieb sowieso an mir kleben. Kein Urlaub, kein Ausgehen, keine Freunde einladen (er lag krank im Bett und verlangte Ruhe), Geburtstage, Jahrestage, Familienfeiern...alles Opfer der Krankheit. Und ich als Pflegekraft neben einem Fulltime- Job, völlig überfordert und voller hilflosem Zorn gegenüber einem übermächtigen und unsichtbaren Gegner.
Ich musste nach einem Jahr selber in die Arzt- Praxis: Angstzustände und massive Schlafprobleme, sowas bleibt nicht folgenlos. Ich, ausgerechnet ich? Immer kerngesund und leistungsfähig, ich knickte ein und schlucke seither Schlaf- und Beruhigungsmittel wie Bonbons.

......Er war schwermütig und nachdenklich, als ich ihn vor Jahren kennen- und lieben lernte.
Es gab immer mal Schübe der Krankheit- aber es war "im Rahmen". Dazu sein Job als Spezialist für unlösbare Probleme (Maschinenbau), der ihm Struktur und Halt gab.
Ich wagte das Zusammenleben (die Traumwohnung war sein Wunsch), das ist über 2 Jahre her...
Und ich fiel ins Bodenlose..
Nach 3 Monaten honeymoon in der neuen Wohnung und dem klassischen "bemühen" kam sein erster Schub im trauten Heim: er ging (natürlich) nicht zum Arzt, ich tat, was ich konnte- natürlich zu wenig, immer zu wenig, verflucht.
In den guten Zeiten war er wunderbar, zauberhaft, verlässlich, zärtlich, liebevoll, ganz wie zu Beginn....daran klammerte ich mich...an diesen dürren Ast.
Die Abstände zwischen den Depressions- Schüben wurden kürzer...rasant kürzer...erschreckend..kurz...
Mir gingen langsam die Ausreden für Freunde und Familie aus: ich kam ja immer alleine, wenn überhaupt...ich bin ja nicht aus Eisen.: Ich habe oft und viel vor Enttäuschung geweint.
Den letzten *** gab es vor 8 Monaten unter Alkoholeinfluss, es war grauenhaft....

Ich tat letzten Monat etwas, für das ich mich schäme: ich packte ihn ins Auto und gab das Problem samt Reisetasche bei seiner Mutter ab: er war völlig apathisch und lies das schweigend mit sich geschehen.
Seine Mutter...wird das Problem nicht lösen können, wie auch?
Es ist ihr nur "nicht unbekannt", "jaja, mein Sorgenkind.... war ja eine Frage der Zeit..bis sein dunkler Engel...wieder durchschimmert ..."
Dort liegt er jetzt im Gästezimmer- und schweigt. Wie bei uns daheim..redet er nicht. Er schläft, genau wie bei uns daheim, 13, 14 Stunden, verschlingt eine Pizza und legt sich wieder schweigend hin. Er duscht und putzt sich die Zähne, aber sonst auch nichts. Schwima meint, es ist besser, wenn ich mich komplett abseile und nicht mehr nachhake...
Ich habe keine Ahnung (hatte ich nie) was in seinem Kopf zwischen den Schlaf- Intervallen, abgeht. Da tobt sich wohl die Krankheit in ihrer vollen Größe aus, was weiss ich.

Es kam nach 3 Wochen eine kurze chat- Nachricht übers Handy: für ihn sei die Beziehung beendet, er wünsche mir nur das Beste, au revoir, ich sei "den Klotz am Bein" los und solle jetzt das Leben genießen und ihn möglichst bald vergessen. Autsch.
Ans Telefon ging er nie, mails blieben unbeantwortet, auch oldschool- Briefe. Keine Nachricht außer dieser.
Passive- aggressive at it's best. Oder soll ich sagen, der Dämon Depression hat gewonnen?
Denn das hat er, unzweifelhaft.

Was soll ich tun?
Ganz konkret, was soll ich tun?
Mit seinem Zeug, mit seinen Möbeln? seinem Arbeitszimmer?
Möbel: einboxen und auf ewig die Box bezahlen?
Weil er eh nichts regeln kann? Soll ich das der Mutter auch noch aufbürden?

So ganz nebenher treiben mich neben Angst- und Schlafstörung noch ganz andere Gedanken um: was wird jetzt aus mir?
Kontakte waren, wenig genug, Pärchenkontakte.
Die sind jetzt langfristig...gestorben, man kennt das, der Single.....ist im Club geduldet- aber nicht willkommen.
Ich fang' also wieder bei Null an. Mit Herzschmerz und reichlich Valium und das mit Mitte 40.
Weil ich mein Herz...an einen kranken Mann verloren habe.

Her mit allen gut gemeinten Ratschlägen.