Genau so sehe ich es auch, Gästin. Und genau darauf möchte ich auch hinaus.
Genau so sehe ich es auch, Gästin. Und genau darauf möchte ich auch hinaus.
Liebe Grüße
Cara
"Du bist gerade 82 geworden. Du bist immer noch schön und begehrenswert. Wir leben seit 58 Jahren zusammen und ich liebe Dich mehr als je zuvor. Erst kürzlich habe ich mich erneut in dich verliebt" (André Gorz, aus Brief an D)
Nun machst du es dir aber wirklich etwas sehr einfach.
Falls du es noch nie getan hast: mal kurz googeln hilft (zudem gab es schon zig Sendungen zu genau diesem Thema.)
http://www.welt.de/kultur/article164...draengten.html
Das Wissen war da, man WOLLTE nichts sehen und hören.
Man erlebte mit, wie jüdische Nachbarn nachts abgeholt wurden - und hat sich keine Gedanken gemacht?
Selbst wenn man sich vielleicht nicht vorstellen konnte, was wirklich mit diesen Menschen passierte, so hat man doch gesehen, dass ihnen alles weggenommen, ihre Wohnungen besetzt, ihre Kunstwerke beschlagnahmt, ihre Geschäfte zerstört wurden.
Also bitte.
Dass die Menschen schwerst traumatisiert waren, damit hast du recht.
Aber sie konnten wissen was da vor sich ging, gegen ihre Mitmenschen.
Geändert von Tommasina (12.05.15 um 17:51:45 Uhr)
Wenn du das sagst, dann muss es ja stimmen und die Presse hat selbstverständlich sowieso immer recht.
Ich finde es anmaßend, über eine ganze Generation zu urteilen, von deren Leben und Leiden wir keine wirkliche Vorstellung haben.
Ich frage dich jetzt ganz direkt: angenommen, deine Theorie stimmt - was hättest du gemacht?
Das kann ich dir nicht sagen.
Da ich nicht in jener Zeit gelebt habe.
Ich kann nur sagen, dass ich dafür bekannt bin, mich einzumischen und nicht zuzuschauen.
An einem Stadtfest sitzt ein Mädchen zusammengekauert an einer Hausmauer?
Ich gehe hin und frage, was los ist.
Und bringe sie zum Sanitätszelt.
Die 17-jährige Tochter eines Nachbarn sitzt weinend im Garten auf der Treppe, kurz zuvor hörte ich Geschrei.
Ich spreche sie an, ob ich helfen kann, nehme sie zu mir in die Wohnung, lasse mir erzählen, was passiert ist und fahre mit ihr mit dem Taxi in die Klinik, damit die ihr von ihrem prügelnden Vater zugefügten Verletzungen dokumentiert werden können und sie Ruhe und Schutz erhält.
Geschrei im Haus, bei einer jungen Nachbarin, frisch geschieden.
Mein Mann und ich fragen nach, was los ist und rufen die Polizei, (da der Mann sich nicht einsichtig zeigt) die dafür sorgt, dass der Mann die Wohnung verlässt, und wir machen eine Aussage.
Es gibt noch weitere Beispiele, aber es ist natürlich so, dass ich dadurch mich nicht unbedingt in Lebensgefahr begeben habe.
Ich kann also nicht sagen, wie ich damals gehandelt hätte.
Aber ich bin jemand, der nicht einfach die Augen und Ohren verschliesst, das immerhin kann ich sagen.
Eine Vorstellung vom Leben und Leiden anderer hat man eigentlich nie, hätte man auch heute nicht. Sehr wohl kann man aber häufig sehen, dass jemand Hilfe braucht - siehe z. B. Tommasinas Beispiele.
Und was man nun wirklich erkennen kann, auch in der Rückschau, dass damals vielen Menschen Unrecht getan wurde. Darüber kann man nicht nur urteilen, darüber muss man sogar urteilen. Ansonsten bräuchten wir auch keine Gerichte, die heutiges Fehlverhalten verurteilen. Aber die Täter sterben sterben sowieso aus und deshalb finde ich persönlich das Aburteilen von Tätern auch eher zweitrangig. Aber wenn so viele Tote und traumatisierte Menschen nie wieder geschehen sollen, dann dürfen diese Taten nicht vergessen und schon gar nicht banalisiert werden.
Man darf Wahrheit nicht mit Mehrheit verwechseln. (J. Cocteau)
Familie väterlicherseits:
Meine Oma war zunächst mit meinem Großonkel zusammen. Sie war 16, er war 20. Er ist 1942 an der Ostfront gefallen. Meine Oma besuchte weiterhin meine Uroma und lernte dort den älteren Sohn kennen, mein späterer Opa. Er war auf Fronturlaub und "tröstete" meine Oma. Das 1. gemeinsame Kind, mein Onkel, wurde in einer schweren Bombennacht geboren. Die Stadt am Rande des Ruhrgebietes wurde in Schutt und Asche gelegt in der Nacht. Mein Onkel hat von Geburt an einen Nystatigsmus, ein Augenzittern, vermutlich ein Geburtsschaden als Resultat dieser Bombennacht, in der er geboren wurde.
Mein Opa, wieder zurück an der Front, wurde schwerstverwundet. Er wurde als einer der letzten Soldaten aus Russland ausgeflogen und hat 1 Jahr lang gelähmt in einem Streckbett liegen müssen. Er war verschüttet worden und hatte den Rücken von Granatsplittern zerfetzt. Das war er 24. Bis 1956 ging er an 2 Krücken. Mein Vater wurde 1946 geboren. Meine Oma war bis zur Geburt meines Onkel BDM, auch sehr begeistert, und war wohl auch mit 15 Jahren für ein Jahr lang auf irgendeinem Hof in Bayern.. zur Hilfe oder so. Jedenfalls konnte sie anpacken, sie stand mit 17 Jahren mit einem Säugling und einem schwerverletzten Mann da und hat die Geschicke in die Hand genommen. Sie war immer extrem tough und lässt bis heute die Familie springen.
Mütterlicherseits:
Uropa bChauffeur bei der Waffen-SS, Urgroßonkel SS-Totenkopf-Division, als Deserteur mit 24 Jahren standrechtlich erschossen. Meine Uroma war eine kleine, couragierte Frau und hat während der Abwesenheit meines Opas (war in Frankreich) für eine Nachbarsfamilie mitgekocht, die Juden versteckt hielten. Sie hat sich und die Familie damit in höchste Gefahr gebracht. Noch heute ziehe ich den Hut vor ihr, dass sie das getan hat. Meinem Uropa hat sie erst nach dessen Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft davon erzählt.
Auch wenn man heute immer sagt, die Amerikaner hätten nicht gefoltert: als Mitglied der Waffen-SS ist mein Uropa gefoltert worden. Ihm wurden alle Zähne ausgeschlagen, er hatte nur noch 1 funktionierenden Lungenflügel und Herzasthma. Fakt ist, dass er gar nicht im Kampf war, sondern eben Chauffeur eines Waffen-SS-Bonzen. Aber egal.
Meine Familie ist in WWII 2 x in Köln ausgebombt worden und meine Uroma ist dann mit den Kindern hier auf's Land in ein "Auffanglager" verfrachtet worden. Auch sie hat alles allein geregelt.
Bei uns wurde immer viel vom Krieg erzählt. Die Gefallenen wurden betrauert und meine Uroma mütterlicherseits, die mich ja maßgeblich groß gezogen hat, sprach viel, sehr viel vom Krieg. Von beiden Kriegen, denn sie hatte ja WW1 auch noch erlebt. Mir ist das Leid der Mütter (also meiner beiden Uromas) über ihre verlorenen Söhne noch sehr deutlich. Der eine 20, der andere 24. Meine Kindheit ist begleitet von riesigen Portraitaufnahmen dieser beiden jungen Männer in den Wohnzimmern meiner Uromas.
Schon früh bin ich durch meinen Vater an das Thema Nationalsozialismus und WW2 herangeführt worden. Ich habe mir oft die Frage gestellt, wie wohl meine Biografie verlaufen wäre, wäre ich eine junge Frau im Nationalsozialismus gewesen. Meine Oma väterlicherseits ist jedenfalls bis heute ziemlich gebrainwashed, es ging immer mal wieder um groß, blond, blauäugig, ja ein Familienmerkmal bei uns. Wer weiß, wie man sich gefühlt hätte, wenn einem von Kindesbeinen eingeimpft worden wäre, dass man zur "Elite" gehört, keine Ahnung. Jedenfalls war es nachhaltig, wie man an meiner Oma sieht. Und wer weiß auch, ob man den Mut gehabt hätte, den Mund aufzumachen. Man konnte ja noch nicht einmal dem nächsten Nachbarn oder Familienmitglied vertrauen. Der Nationalsozialismus ernährte sich halt auch vom Denunziantentum.Ich habe mich ja Jahre lang mit dem Widerstand gegen Hitler beschäftigt. Es gab mehr Widerständler, auch im Kleinen, als man dachte. Aber stets und ständig den Tod vor Augen... ich weiß nicht, ob man da mitgemacht hätte, da bin ich jetzt mal ganz ehrlich.
Es ist heute so einfach zu sagen: da hätte ich nicht mitgemacht. Aber ich denke, wir - die Nachkommen - können uns - die wir in der Demokratie aufgewachsen sind - gar kein Bild über das Leben in einem totalitären Staat machen. Das Rechts- und Unrechtsempfinden hatte sich wohl durch jahrelange gezielte Propaganda völlig verschoben.
Heute gibt es gute wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema: Kriegskinder, Kriegsenkel. Sicherlich hat diese hochgradige Traumatisierung unserer Großeltern immer noch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Meine Eltern wurden selbst von hochtraumatisierten Eltern erzogen, das hatte sicherlich auch Auswirkungen.
Zum Holocaust: ich bin mir sicher, das viele viel mehr wussten, als sie jemals zugegeben haben. Viele Feldpostbriefe enthalten Schilderungen von Massenmorden an Juden z.B. in Polen und der Sowjetunion, Erschießungen, Ghettos. Natürlich ist es den Menschen aufgefallen, wenn die jüdischen Nachbarn zu Hauf abgeholt wurden. Ich weiß allerdings nicht, ob das Gros der Bevölkerung wirklich von den Grauen und den Massenmorden und der Tötungsmaschinerie in den Konzentrationslagern so im Detail Kenntnis hatte.
Nach dem Krieg hat halt auch eine große Welle des Verdrängens statt gefunden. Selbst die junge BRD hat sich wenig um die Verfolgung von bekannten Nationalsozialisten und deren Verurteilung bemüht. Viele einflussreiche Nazis waren auch später wieder in entsprechenden Positionen zu finden. Gut, es gab die sogenannte "Entnazifizierung" durchgeführt durch die Besatzungsmächte, aber danach ging alles seinen gewohnten Gang. Die Bevölkerung war hauptsächlich damit beschäftigt, zu überleben, sich aus dem Nichts ein neues Leben aufzubauen und irgendwie nach Vorne zu schauen. Man wollte sich auch nicht mit Schuld beschäftigen, mit Sühne, mit Verbrechen.
In vielen Schulen ist in den 50er Jahren das Thema Nationalsozialismus regelrecht totgeschwiegen wurden und auch in den Familien wurde größtenteils wenig darüber gesprochen. Die Männer schwiegen über ihre Kriegserlebnisse. Es wurde verdrängt, verschwiegen, runtergeschluckt...
Geändert von Mayanmar (12.05.15 um 21:16:57 Uhr)
Die letzte Strophe deines Liedes war verklungen, als er deinen Namen rief.
In mir jedoch wird's nie verstummen. Es singt ganz leise........seelentief.
Zum Thema einmischen: Man sieht ja heute schon sehr deutlich, wie wenig Zivilcourage gegenüber rechten Taten/ Aussagen usw. gezeigt wird. Wie hätte es da damals mit einer solch unfassbaren Bedrohung anders sein sollen. Wenn wir auf die Menschen damals schauen, dann sollten wir das durch die derzeitige Situation tun und wie wenig hier aufgestanden wird gegen rechte Gewalt und Gedankengut.
Ein aktuelles Beispiel, was mich sehr beschäftigt: Mein Freund wohnt in einer Kleinstadt und ich bin sehr oft und regelmäßig dort. Nun gibt es in der Stadtgruppe auf fb eine Diskussion über die dortigen Asylbewerber/ Flüchtlinge bei der ich mich, wie Ihr Euch sicher denken könnt,rege beteilige. Nun habe ich einen Post, in dem Flüchtlinge als Abschaum bezeichnet werden recht deutlich beantwortet und den Typen (dumm wie Brot) lächerlich gemacht. Ich habe dann einige private Nachrichten bekommen, dass ich mich mit dem nicht anlegen soll, dem keine Antworten auf seine Widerlichkeiten geben soll, da er gerne kurzen Prozess macht, ein Schläger sei usw. Da wird einem mulmig.
Ebenso mein Engagement gegen rechts in meiner Heimatstadt, welches zur Folge hatte, dass es Drohungen an der Haustür gab oder Gegenstände ans Fenster geworfen werden.
Ich stecke in einem Dilemma: Ich möchte und MUSS gegen Nazis agieren, habe aber große Angst vor den Konsequenzen.
"Man kann nicht allen helfen“, sagt der Engherzige und hilft keinem. Marie von Ebner-Eschenbach, Schriftstellerin
Es gibt Menschen, die sich immer angegriffen fühlen, wenn jemand die Wahrheit sagt. Christian Morgenstern
Bündeli ich versteh dich gut.
Dieses Dilemma hat man immer, wenn man sich einmischt, im Falle meines prügelnden Nachbars hatte ich wirklich Angst, das könne Konsequenzen haben.
Denn natürlich hat er erfahren, wer seiner Tochter geholfen hat.
In deinem Fall hast du ja vielleicht die Möglichkeit, dich einer Gruppe anzuschliessen die gegen Nazis agiert, so dass du nicht als Einzelperson in deren Fokus stehst?
Meist kann man so ja auch eher etwas bewirken.