Ich bin wahrscheinlich zu sehr rational, um dieses Problem richtig nachvollziehen zu können.
Nicht, dass ich nicht Ungleichheiten in Beziehungen zu anderen Menschen aufspüren könnte. Doch, das tu ich. Allerdings brauche ich immer eine Weile. Nicht alle Menschen, die ich kenne und mag, treffe ich im privaten Rahmen, also zuhause bei mir oder ihnen. Aber wenn, dann möchte ich, dass da eine gewisse Balance ist. Es gibt einen Bekannten, der regelmässig bei mir zuhause eingeladen war, zum Essen, Filme gucken, labern, der mich aber bislang nicht ein einziges Mal zu sich nachhause eingeladen hat. Gut, nicht jeder schafft es, sein Zuhause jederzeit vorzeigbar zu halten, aber da trennt sich meines Erachtens schon die Spreu vom Weizen. Einem Kollegen, einer Sportkameradin oder nur einem Bekannten muss ich sicherlich keine Messizustände vorführen, einem Freund sollte man das aber zutrauen können und dürfen. Die Balance mit dem Essen könnte man alternativ auch mal schaffen durch eine Einladung im Restaurant, muss ja kein 1:1-Verhältnis der Anzahl sein, aber als Zeichen der Wertschätzung. Mag ich diesen Menschen deshalb weniger? Nein. Mag ich ihn deshalb weniger sehen? Nein? Aber ich ich werde schon ein wenig zurückhaltender in meiner Freigiebigkeit, was meine Person, mein Privates, meinen Zeitaufwand betrifft. Und schon früher habe ich vermeintliche Freundschaften von einem auf den anderen Tag fallen gelassen, wenn es mir gedämmert habe, dass ich ausgenutzt wurde, wenn denn das Ungleichgewicht tatsächlich so stark war.
Nun muss man aber auch über den Tellerand gucken. Nicht alles gelingt allen Menschen gleich gut, und man kann nicht immer in den anderen hineingucken. Ich bin zum Beispiel jemand, der nach der Arbeit nicht mehr große Lust und Energie zum Putzen hat. Unter der Woche mache ich meine Einkäufe, geh zum Sport, zu Konzerten etc. Ich werde aber unter der Woche eher nicht Besuch empfangen, und schon gar nicht spontan, da eben Küche und Bad nicht immer tagesfrisch sind, mein Bett oft ungemacht ist und Bügelwäsche herumsteht. Putzen und Aufräumen passt bei mir wunderbar zum Wochenende, an dem ich gerne zuhause bin und nicht unbedingt den Drang habe, etwas zu unternehmen. Samstags oder sonntags abends kann man mich gerne besuchen kommen - aber wegen individueller Vorstellungen anderer passt das oft nicht. Da ist das Wochenende fix für Familienunternehmungen reserviert, oder man vereist übers Wochenende, oder ist nach Shoppingmarathon zu müde oder geht abends lieber aus. Das ist nicht wertend gemeint, keine Vorstellungen ist per se besser oder richtig oder normal. Nur setzt man gerne voraus, dass andere, und vor allem Freunde, das Leben bitte doch genauso sehen müssten wie man selber. Jeder zelebriert seine eigene Spießigkeit und findet die der anderen spießig Das Problem ist manchmal, dass man solche Vorstellungen nicht richtig artikulieren kann. Ich weiß zum Beispiel nicht, warum eine halbe Stunde Weg zu jemanden ein Hindernis sein könnte, seitdem ich in Berlin lebe, dauert so ziemlich jede Strecke, die ich habe, eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln, und die mach ich mir immer so angenehm wie möglich mit Lesestoff, Hörbüchern oder Musik. Allerdings hab ich auch keine Kinder im Schlepptau, die zappelig oder ggf. quengelig werden, keinen Hund, der ggf. Querelen macht oder oder. Ich halte sehr viel von der Redensart "Urteile über niemanden, in dessen Schuhen Du nicht gelaufen bist". Und erst recht ärgere ich mich nicht. Ggf. ziehe ich für mich künftig Konsequenzen.
Auch Pünktlichkeit an sich ist für mich kein Maßstab. Es kommt auf das Umfeld an. Wenn ich verabredet bin und der Treffpunkt ist ungeschickterweise so verabredet, dass ich länger als 10 oder 15 Minuten in der Hitze schmoren oder im eisigen Wind bibbern muss, dann werde ich auch ungehalten, aber ich suche nach Möglichkeit Treffpunkte so aus, dass eine Wartezeit nicht unangenehm sein muss. Wenn ich mit jemandem zum Essen verabredet bin, mach ich den Treffpunkt im Restaurant aus. Da ist es mir egal, ob ich nun eine halbe Stunde warten müsste, ich hab immer was zu lesen dabei und die Zeit verstreicht nicht ungenutzt. Ausserdem setze ich in der Regel voraus, dass meine Verabredung dann genug Zeit mitbringt und nach einer Verabredung um acht Uhr nicht schoh um halb zehn wieder fluchtartig aufbrechen muss und die gemeinsame Zeit durch Unpünktlichkeit noch verkürzt würde. Kommt jemand zum essen, plane ich die Garzeiten nicht zum vereinbarten Eintreffen, sondern mindestens eine halbe Stunde später (das sieht meine Mutter zum Beispiel anders, die das Essen immer für Punkt X Uhr ansetzt und dann sauer ist, wenn jemand sich verspätet). Will man gemeinsam eine Veranstaltung besuchen, ist es jedoch sinnvoll, eine vereinbarte Zeit auch einzuhalten, damit man den Film vollständig sieht, das Konzert ganz hört, ggf. noch Karten und / oder gute Plätze bekommt etc. Wenn ich also mit jemandem verabredet bin, von dem ich weiß, dass er Schwierigkeiten mit Pünktlichkeit hat, plane ich entsprechend. Es gibt aber Ursachen für Unpünklichkeit, die mich nerven. Beispiel: Für ein Date sollte ich das Restaurant wählen. Ich habe eines gewählt unter den Kriterien gute Küche, vielseitig, nicht zu teuer, nicht zu laut, gemütlich, aber auch so, dass es für beide gut erreichbar war. Ich habe es so ausgesucht, dass ich in 20 Minuten zu Fuß da sein konnte und mein Date in der gleichen Zeit mit dem Auto, ausserdem habe ich die Parksituation insofern bedacht, als ein Parkhaus direkt nebenan war (Öffnungszeiten und Gebühren hatte ich auf Eignung gecheckt). Ich fand mich also super fürsorglich. Und was war? Mein Date erschien mit 25 Minuten Verspätung (ohne zwischendurch mal von sich hören zu lassen, es gab durchaus schon SMS), weil er durch die Gegend gekurvt war auf der Suche nach einem Parkplatz, weil er kein Geld fürs Parkhaus ausgeben wollte. Das führte natürlich zu massiven Punkteabzug, den er im Verlauf des Abends auch nicht annähernd hätte wettmachen können. Da war ich erstens sauer, weil ich mir soviel Gedanken gemacht habe vorab und er alles mit einer Geste zunichte gemacht hat - und das sind die Situationen, die zu Ärger führen. Man hätte natürlich vorab die Rahmenbedingungen minutiös auskakeln können, aber macht man das vor einem ersten Date? Wie romantisch). Zweitens gehe ich davon aus, dass wenn man bereit ist, dreissig oder vierzig Euro in einem Restaurant auszugeben, auch noch fünf Euro fürs Parkhaus "drin" sind. Nicht, weil bei mir Geld grunsätzlich locker säße, sondern weil es verhältnismässig ist. Aber da kann man natürlich auch andere Grundsätze haben, aber was dem einen seine Sparsamkeit, ist dem anderen schon Geiz. Und so sind wir alle verschieden - und wissen manchmal nicht, warum andere sich so verhalten, wie sie sich verhalten.