Schönheitsmakel

[Iridia]

Ich las gerade einen Artikel, dass Rothaarige früher gemobbt wurden und ich kann mich tatsächlich daran erinnern, dass sie von vielen tatsächlich dafür aufgezogen wurden. Das hat sich ziemlich geändert.
Danach fiel mir ein, dass Sommersprossen genau so was waren. Schon als Kinder hatten wir schädigende Bleichcremes und die Kommentare dazu verschwanden.

Ich finde wirklich toll, jetzt in einer Zeit zu leben, die kleine Abweichungen vom klassischen Schönheitsideal feiert, nicht weil sie besser sind, sondern weil sie einen grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung vom Negativen weg markieren. Was ist schlimm daran, besonders individuelle Merkmale zu haben, statt färben zu sollen, Haut zu bleichen oder alles Mögliche den Arzt richten lassen zu müssen, nur um sein Äußeres von anderen nicht angreifbar zu machen.

Mir scheint, je später man geboren ist, desto normaler ist das geworden. Das Segelohren "süß" empfunden weden können, leuchtet dem wenigsten der älteren Generation ein, ebenso Muttermale, die eine einzige Frau mit Mut gesellschaftsfähig gemacht hat, Zahnlücken, graue Haare usw. Natürlich sind nicht die Merkmale an sich schön oder unschön, immer im speziellen Gesicht, nur scheint mir, dass schöne oder ausdrucksstarke Menschen die Chance haben, hier den Wandel zu bringen, auch für alle anderen.

An der Stelle einfach mal so ins Blaue ein Dank an die, die es tun und ein Dank an die, die andere nicht deswegen angreifen, dass es zu deren natürlichen Aussehen gehört, sondern ermutigen, damit genauso leben zu können wie die alle anderen. In so einer Gesellschaft würde ich gern leben. Dass Kristen Stewart mit der kurzen Oberlippe für Makeup von Chanel wirbt, weil es ihre schönen Zähne in Szene setzt, gefällt mir und schien mir noch vor 2 Jahren unmöglich.

Ich hab noch gar nicht mal das Gewichts- und Faltenproblem erwähnt. Die Industrie hat wirklich viele Gründe, hier einzureden, wie unvollkommen man wäre, aber: wollen wir das wirklich auch?

Wenn ihr könnt, seid barmherzig, so wie Rothaarige früher abwertenden Kommentaren ausgesetzt waren, heute auf ihre Haarfarbe stolz sind, weil sie auch selten ist und mit der Umwertung einem ganz besonderen Charme hat. Heute sind es andere Sachen, die noch auffallen. Ich hoffe auch hier auf einen Wandel.

[vivian]

Mir scheint, je später man geboren ist, desto normaler ist das geworden.

Dagegen spricht aber, daß die Zahlen von kosmetischen Operationen steil ansteigen.

Segelohren sind nicht süß, auch heute leiden Kinder noch darunter. Hab das gerade vor wenigen Tagen mit einer Kollegin gesprochen, deren
Tochter jetzt eingeschult wurde. Im Kiga waren ihren Ohren fast kein Thema und die Eltern habe somit auch keine Notwendigkeit gesehen,
etwas zu unternehmen. Jetzt aber, in der Schule, sind die Kinder sehr direkt und sie wird schlimm gehänselt. Ich hab das ja als Kind selbst
erlebt, hab aber zum Glück ein gesundes Selbstbewußtsein und hab mich so durchgeschlagen. Die Kleine meiner Kollegin bekam heftiges
Bauchweh nach einigen Tagen, mußte sich übergeben und wollte ums Verrecken nicht mehr in die Schule (ist ein sehr helles Köpfchen und hatte soch vorher so sehr drauf gefreut).
Will sagen, was Nichtbetroffene "süß" finden, kann für einen selber die Hölle auf Erden sein. Sie haben sich jetzt entschieden, die Ohren korrigieren zu lassen. Ich wünschte, meine Mutter währe in meiner Kindheit auch so einsichtig gewesen.
gefreut

[sabine21]

ich war jedes Mal wieder heilfroh, dass ich nicht in D zur Schule gehe. Ich kannte sowas nicht. Klein, sehr groß, dick, Brille, rote Haare, Zahnspange,... da wurde sich nicht drüber lustig gemacht. Wenn ich dann in den Ferien hier war, wollte ich mit den deutschen Kindern nichts zu tun haben. Ich fand deren Umgang immer doof.
Schon Kinder beäugten das Fremde, das Andere, so als wäre es etwas was nicht gut sein kann.

Wäre ja schön, wenn sich das heute geändert hat und die Gesellschaft offener wird. Es fängt dabei an, was Eltern ihren Kindern beibringen und vorleben.

[Medha]

Ich glaube das kommt sehr auf das soziale Umfeld an. Es gibt Millieus in denen gehört es mittlerweile zum guten Ton, jeden so zu nehmen wie er ist und es gibt Gruppen in denen ist Perfektion das Ziel. Das hängt nicht mal an Bildung oder Einkommen. Viele Menschen sind auch anderen gegenüber toleranter als sich selbst, wenn ich sehe was z.B. für ein Aufwand betrieben wird, um den eigenen Körper zu formen um einem Ideal zu entsprechen. Wer will den schon auf Selfies "hässlich" aussehen?

[Sushi]

Iridia, manchmal habe ich das Gefühl du lebst auf einem anderen Stern. An Schulen werden Rothaarige, Lockenköpfe etc. nach wie vor gemobbt und Segelohren auch nicht als süß bezeichnet. Den Aufwand den so mancher Teenager heute morgens im Badezimmer betreibt um in der Schule up to Date und Systemkonform zu sein hätte ich früher nicht gemacht.

[vivian]

Ich hab einen Kollegen (etwa Mitte-Ende zwanzig), der ein handtellergroßes Feuermal im Gesicht hat und rote Haare. Er sagte mal, er wäre so
froh endlich erwachsen zu sein, seine Kindheit wäre diesbezüglich die Hölle gewesen.

[sabine21]

es scheint aber auch extrem, was als Segelohren empfunden wird. Das ist ein recht extremes Beispiel was ich bei google gefunden habe https://encrypted-tbn0.gstatic.com/i...md0bVdaTPN2Cwr

das sind für mich richtige Segelohren http://drugline.info/img/ail/segeloh...dern-596_3.jpg

[Thea]

Ich finde auch, dass es schlimmer geworden ist. Früher fand man Segelohren vielleicht blöd, aber man hat es nicht so hinausposaunt wie jetzt. Zumindest dann nicht wenn man von den Eltern dementsprechend erzogen worden ist, dass man körperliche Eigenarten bei anderen nicht kommentiert.
Vor allem hat sich Kritik in die Öffentlichkeit durch Plattformen wie Facebook verstärkt. Da wird gemobbt was das Zeug hält, beleidigt und die Leute werden böse angegangen wenn sie dem gängigen Schönheitsideal nicht entsprechen. Auch in anderen Foren ist das Niedermachen sehr groß - ich denke da an alte GNTM Forumsbeiträge bei den Sendern. Meine Güte - die Teilnehmerinnen mussten da ein starkes Nervengerüst haben um das auszuhalten.
Hier auch so ein Beispiel:
http://www.huffingtonpost.de/2016/09...tml?1473136292

Sommersprossen mögen auf getunten Fotos nett aussehen, vor allem wenn das Model auch noch hübsch ist - gibt ja genügend solche Bilder. Aber was ist mit den Personen die nun mal nicht mit zusätzlich einer süßen Stupsnase gesegnet sind und Sommersprossen haben? Da fallen sicherlich die einen oder anderen sehr bösen Bemerkungen und der Junge oder das Mädchen hat keine schöne Schulzeit.

Zudem finde ich, dass gerade unter den Jugendlichen ein so dermaßen bösartiger Ton herrscht, dass es mir manchmal die Sprache verschlagen hat. Ich musste letztes Jahr im Winter des öfteren mit den Öffentlichen fahren und der Bus frühs war voll mit Schülern. Also Begriffe wie Bitch, Fo**** oder Schlampe waren häufig zu hören und das waren Begriffe die "einfach so" im Satz fielen, also nicht einmal als Beleidigung sondern einfach als Wörter die man täglich benutzt. Ich möchte da nicht wissen was die sich sonst an den Kopf werfen wenn sie mal richtig wütend sind.

Das erinnert mich an meine Grundschulzeit. Wir hatten eine ältere sehr strenge Lehrerin. An einen Vorfall kann ich mich noch heute gut erinnern: Ein Schüler hat einen anderen Depp (oder Idiot) genannt. Sie hat sich denjenigen so richtig vorgeknöpft und gemeint "Das sagt man nicht" und er musste sich entschuldigen. Beleidigungen war in unseren (und ihren) Augen ein richtiges Vergehen und das wurde von ihr streng geahndet. Schimpfwörter waren ein absolutes NoGo. Ich glaube, derjenige musste seitenlang irgendeinen Satz als Strafarbeit schreiben. Sowas merkt man sich für´s Leben. Wenn das ein Lehrer heute machen würde, ständen bestimmt die Eltern vor seiner Tür und würden mit dem Rechtsanwalt drohen.

[Primavera]

..Dass Kristen Stewart mit der kurzen Oberlippe für Makeup von Chanel wirbt, weil es ihre schönen Zähne in Szene setzt, gefällt mir und schien mir noch vor 2 Jahren unmöglich...

Die genannten Beispiele von Prominenten sind meiner Meinung nach keine guten Belege für den von dir beobachteten Wandel hin zum freundlicheren Blick auf andere.
Das sind in erster Linie attraktive Menschen mit einem reizvollen "Makel". Damit können Menschen sehr schön aussehen, wenn der Rest stimmt und ein gutes Gegengewicht bildet.
Für diese Art der Besonderheiten hat sich der Blick geschärft, sie werden geradezu gesucht.

Für alle anderen ist es eher schwieriger geworden. Teenager, die in Zeiten von GNTM und Selbstoptimierungswahn aufwachsen, tun mir leid.

[Puckprinzessin]

Die genannten Beispiele von Prominenten sind meiner Meinung nach keine guten Belege für den von dir beobachteten Wandel hin zum freundlicheren Blick auf andere.
Das sind in erster Linie attraktive Menschen mit einem reizvollen "Makel". Damit können Menschen sehr schön aussehen, wenn der Rest stimmt und ein gutes Gegengewicht bildet.
Für diese Art der Besonderheiten hat sich der Blick geschärft, sie werden geradezu gesucht.

Für alle anderen ist es eher schwieriger geworden. Teenager, die in Zeiten von GNTM und Selbstoptimierungswahn aufwachsen, tun mir leid.

Denke ich auch. Viele dieser berühmten Menschen mit einem solchen "Makel" sagen aber auch ganz klar, dass sie als Kind dafür gemobbt wurden. Es sei jetzt nur "toll", weil sie berühmt sind.
Meine Mutter wurde früher für ihre roten Haare gehänselt, eine Freundin durfte sogar nicht mehr mit ihr spielen, weil deren Mutter sagte, Rothaarige seien Hexen. Eine Freundin von mir wurde auch als Feuermelder usw. bezeichnet von Mitschülern. Ich wurde wegen meiner Größe gehänselt (mich darauf hinzuweisen finden Leute auch heute noch "lustig"), andere in meiner Klasse als "fetter Elefant" bezeichnet, und grade in Zeiten des Optimierungswahns hat sich das nicht geändert - im Gegenteil.

Ich liebe übrigens rote Haare und finde es schade, dass ich "nur" rotblond bin und nicht ganz rot.