Am 1. Nov. 1986. Ich erinnere mich noch gut. Ich war alleine daheim und dann gingen rund um mich herum die Sirenen an und es stank zum Himmel. Man durfte die Häuser nicht verlassen und man wusste nicht wie gefährlich diese Giftwolke nun ist Mensch, das war eine fürchterliche Nacht.

Hier zum nachlesen falls es jemanden interessiert:

Die beissende Rauchwolke. Die Lautsprecher, dann die Sirenen. Die Ungewissheit. Das Durcheinander. Dann die Entwarnung. Der Schock. Der rote Rhein.

Der Gestank ist grauenhaft, irgendwie auch penetrant süsslich. Den ganzen Samstag und danach hängt er noch über der Gegend, auch nachdem das Feuer längst gelöscht ist. Mercaptane könnten für den Gestank verantwortlich sein, heisst es später. Oder die verdampften Insektizide selber. 90 Substanzen gab es in der brennenden Sandoz-Lagerhalle; 20 davon sind Pflanzenschutzmittel. Über 1200 Tonnen insgesamt. 15 bis 40 Tonnen Chemikalien werden mit dem Löschwasser in den Rhein gespült. Folge:etwa 220 Tonnen tote Aale, die Fauna im Rhein stark dezimiert auf einer Länge von etwa 500 km. Der Schock zu Hause sitzt tief, die internationale Empörung ist riesig: Vor den Augen der Welt fliesst das Gift während zwei Wochen rheinabwärts durch halb Europa. «Tschernobâle», «Bhobâle» schreiben die ausländischen Medien. 1986 wollte die Sandoz gross ihren 100. Geburtstag feiern - anstelle von Stolz und Glanz gibt es die immense Imageschädigung, in einer ersten Phase verstärkt durch die katastrophale Informationspolitik in der Chefetage der Weltfirma.


Lähmende Ungewissheit. Der Ablauf: Kurz nach Mitternacht wird das Feuer in der Lagerhalle 956 entdeckt, die Werksfeuerwehr löst Grossalarm aus. Riesige Flammen lodern, während Stunden schiessen explodierende Fässer durch die Luft. Ein stechender Geruch hüllt die Region ein. Die Autobahn N2 zwischen den Anschlüssen Hagnau und Sissach wird gesperrt. Wenig später wird die Bevölkerung via Radio und Lautsprecher aufgerufen, Fenster und Türen zu schliessen und zu Hause zu bleiben. Danach heulen die Sirenen. Überall in der Region gehen die Lichter an, die Telefone laufen heiss. Doch niemand weiss Näheres, die Ungewissheit über die Gefahren ist lähmend. Für Laien unverständliche Aussagen des Baselbieter Einsatzleiters am Radio stiften nur Verwirrung.

Gegen sieben Uhr vernimmt man erleichtert die Entwarnung. Die Stadt reibt sich die Augen und ist froh, heil davongekommen zu sein. Wegen Miss-verständnissen zwischen Radio Basilisk und Erziehungsminister Hansruedi Striebel gibt es noch einen kurzen Wirbel, ob die Basler Kinder an diesem Samstagmorgen zur Schule sollen oder nicht. Dann ist vorerst alles vorbei.

Giftgrüne Laternen. Seveso, Bophal, Tschernobyl, dann Schweizerhalle. Was alle für unmöglich hielten und verdrängten, ereignet sich direkt vor der Haustür. Der 1. November 1986 nimmt der Bevölkerung schlagartig die Illusion einer risikolosen Chemie. Glücklicherweise gefährdet aber die Schreckensnacht die Gesundheit der Bevölkerung nicht, und auch die Folgen für den Rhein stellen sich später als weit geringer heraus als befürchtet. Aber im Moment machen sich die Menschen enorme Sorgen um den Rhein. Unvergesslich die Fasnacht 1987, die ihrer Rolle als Trauma-Verarbeiterin gerecht wird: Ein ganzer Zug in Schwarz, mehrere bös-giftgrüne Laternen, viele düstere Einzelmasken.