Bei uns wurde das Buch förmlich zerrissen

Hier ein Auszug:


Mama Madonna und ihre Moral

Eine biedere Aschenbrödelgeschichte, plump illustriert - das ist Madonnas Kinderbuchdebüt. Den Rummel im Vorfeld hat die Popdiva gekonnt orchestriert; umso grösser ist nun die Enttäuschung.

Viel Lärm um - nun, nicht nichts. Aber erbärmlich wenig. Keine Zeile durfte vor dem heutigen Erscheinen von Madonnas erstem Kinderbuch darüber geschrieben werden. Die Medien mussten komplizierte Verträge zur Sperrfrist unterzeichnen, wie sie selbst im obersten Segment des Showbiz selten sind; erst dann bekamen sie das Opus zugestellt.
Im Internet allerdings gab Madonna ausführlich Auskunft zu ihrer «Geschichte über Freundschaft und Missgunst, Pyjamapartys und gute Feen». Die wichtigste Mitarbeiterin, erklärte sie, sei ihre Tochter gewesen: «Sie sagte mir, wann die Geschichte langweilig wurde. » Natürlich erwartete alle Welt eine spannende Geschichte von Madonna - wo doch ihr eigenes Leben ein wahrer Abenteuerroman ist.

Tränendrüsenstory
Immerhin: Das Cover des Buches durfte schon im Vorfeld abgedruckt werden. «Die englischen Rosen», sah man hier und dort, sind vier zarte Mädchen, mit grobem Strich umflort - ganz im französischen Illustrationsstil, wie er etwa Mitte des letzten Jahrhunderts en vogue war. En vogue im wahren Sinn des Wortes: Der Zeichner Jeffrey Fulvimari, der als Hauptinspirationsquelle erstaunlicherweise Andy Warhol angibt, war bisher vor allem in der Welt der Mode und des Designs bekannt. So erstaunt es wenig, dass Madonnas Protagonistinnen aussehen wie magersüchtige Models: eine dunkelhäutig, eine schlitzäugig, eine mit Brille und eine rothaarig - ästhetisch und politisch hochgradig korrekt.
Doch trotz allem sind die vier unzufrieden. Es ist nämlich so: Binah ist schöner. Blond und blauäuig. Dazu klug und nett und also auch beliebt. Das ist einfach zu viel für Nicole, Amy, Charlotte und Grace. Sie beneiden und schneiden Binah und sehen nicht, wie einsam und unglücklich sie ist. Das sanft mahnende Wort einer Mutter nützt nichts; erst als eine Fee die Freundinnen zu Binah nach Hause bringt, sehen sie, was Sache ist: Da schrubbt die Arme auf Knien den Fussboden, kocht, spült Geschirr, wäscht, bügelt, flickt und bringt vor dem Schlafengehen noch den Müll runter.

Schönheitsterror
Binah schläft in einer kahlen Kammer mit nur einer Puppe («Könnt ihr euch das vorstellen? Mit nur EINER Puppe!») und einem Foto von Mama. Mama ist gestorben (wie Madonnas Mutter, als sie selbst sechs war), deshalb muss Binah Papa denHaushalt führen. Beschämt beschliessen die vier Freundinnen, nun etwas netter zu ihr zu sein.
Ist das die Moral von der Geschichte? Nicht ganz. Das dicke Ende kommt noch und sei hier ausnahmsweise verraten: Weil Nicole, Amy, Charlotte und Grace nun mit Binah unterwegs sind, färbt deren Schönheit auf sie ab und alle Leute finden sie nun auch schön. Tja, das ist es, was Mama Madonna den Kindern der Welt zu sagen hat - übrigens spricht sie ihre Leserschaft (ab 6 Jahren) direkt an und unterbricht die Geschichte immer wieder mit Klammerbemerkungen («Unterbrecht mich nicht immer!»). Das Büchlein wird ab heute in 30 Sprachen und mehr als 100 Ländern vertrieben - vermutlich ein Rekord in der Geschichte des Verlagswesens, sicher im Sektor Kinderbuch.

Nabelschau
Noch nie war Madonna so fantasielos. Die Popikone, die sich selbst unzählige Male neu erfunden hat, schafft es nicht, eine eigene Geschichte für Kinder zu kreieren. Alle Elemente sind altbekannt und obendrein reichlich veraltet. Das sollte die Superemanze des Showbiz eigentlich wissen. Vielleicht beschäftigt sie das Thema Neid, mit dem sie selbst ganz sicher immer wieder konfrontiert wird, so sehr?
Nicht nur imText finden sich viele Anspielungen auf die Biografie Madonnas; auch die Figuren ähneln ihr: Binah vor allem, aber auch jene Mutter, die versucht, die vier Mädchen zur Vernunft zu bringen, trägt eindeutig Züge der Autorin. Da unterscheidet sich Madonnas erstes Kinderbuch nicht von ihren Platten und Videos: Es ist selbstverliebt und dreht sich im Grunde nur um den eigenen Nabel.
Man stelle sich vor, jede Kinderbuchautorin würde sich als Popstar versuchen - lächerlich. Ebenso lächerlich ist es, wenn Popstars meinen, es sei ein Kinderspiel, Kinderbücher zu schreiben. Aber Madonna wird es wieder tun. «Die englischen Rosen» ist das erste von fünf geplanten Werken. Eine neue Karriere beginnt - leider wenig hoffnungsvoll.